27. April 2024
Essay

Wozu Philosophie? [Prämissen 0]

Wozu braucht es eigentlich die Philosophie? Was ist Philosophie überhaupt? Diese Fragen stellen sich viele Menschen. Vor allem heutzutage, während die Wissenschaften bahnbrechende Erfolge feiern; und Personen, die als Philosophen bezeichnet werden – wie ein gewisser deutscher Germanist – eher negativ mit fragwürdigem Meinungsdiarrhö in Talkshows und Podcasts auffallen. [1] Für jene, die sich mit der Philosophie nur oberflächlich beschäftigt haben, erscheint sie oft wie ein eher nutzloses Herumgerede und Spekulieren, etwas, das Menschen zu etwas interessanteren Taxifahrern machen könnte, aber sonst nur einen marginalen Nutzen für die Menschheit hat im Vergleich zu so etwas wie den Ingenieurwissenschaften. Selbstverständlich könnte nichts weiter entfernt von der Wahrheit sein als diese populären Vorurteile.

Doch jetzt auf diese Vorbehalte nur generisch zu antworten, dass Philosophie bzw. φιλοσοφία [philosophía] im Altgriechischen „Liebe zur Weisheit“ bedeutet und sich irgendwie damit beschäftigt die Welt und die menschliche Existenz zu analysieren und zu verstehen, ist so trivial wie nichtssagend. [2] Ebenso wäre an dieser Stelle ein akademischer Aufsatz voller Zitate und Fußnoten, eine Berufung auf die Autoritäten, zu trocken und langweilig für jeden, der sich nicht sowieso schon für Philosophie interessiert. Daher will ich im Folgenden ganz einfach und verständlich, ohne große Ausschweifungen (okay, hier und da vielleicht eine kleine zum Spaß), einmal aufzeigen, was Philosophie eigentlich ist und wozu wir sie brauchen:

Der Kern der Philosophie

Meiner bescheidenen Ansicht nach, lässt sich das gesamte Wesen und der Zweck der Philosophie tatsächlich am besten verstehen, wenn man sie auf eine einzige Frage herunterbricht, zu der ich mich von Aristoteles Ansatz in der Nikomachischen Ethik inspirieren ließ [3]:

Wie führe ich ein gutes Leben?

Das ist eigentlich schon die gesamte Grundlage der Philosophie; ihr Kern, aus der alles andere erwächst. (Nicht unbedingt aber ihr Ursprung, der findet sich eher in der Neugier). Denn auch wenn diese Frage auf den ersten Blick vielleicht sehr harmlos wirkt – sie ist dann deutlich weniger harmlos, wenn wir an das alltägliche, oft weit von einem idealen guten Zustand entfernte Leben denken. Sie ist zudem der Samen eines kulturellen Urknalls, aus dem über die vergangenen Jahrtausende ein schier endloser Strom an weiterführenden Fragen, Disziplinen und Forschungsunterfangen explodiert ist. Wozu die Menschheit und auch jeder einzelne Mensch gewissermaßen die Philosophie braucht, wird damit ersichtlich, denn die Frage nach einem guten (oder zumindest) besseren Leben, stellt sich jeder Mensch früher oder später – und diese zu beantworten, ist alles andere als trivial.

Denn wenn ich frage, wie ich ein gutes Leben erreichen kann, so frage ich zuerst danach, was „ein gutes Leben“ überhaupt bedeutet (Sprachphilosophie). [4] Und vor allem frage ich dann nach den richtigen Handlungen (Ethik) und Entscheidungen (Entscheidungstheorie), die ich treffen sollte, und zwangsläufig auch, wie sich diese definieren und begründen lassen (Metaethik & Rationalitätstheorie). Da der Mensch aber offensichtlich ein soziales Wesen ist, welches in Gemeinschaften lebt, hängt die Möglichkeit, ein gutes Leben führen zu können, nicht unwesentlich von dem Zustand meiner Mitmenschen ab. Was zu der Frage nach der richtigen Form der Gemeinschaft führt und wie diese mit meinen Entscheidungen zusammenhängt (Politische Philosophie). Um jedoch diese Fragen beantworten zu können, muss ich zuerst verstehen wie die Wirklichkeit und Welt beschaffen sind (Ontologie, Metaphysik und Naturwissenschaften). Doch um die Welt zu verstehen, muss ich zuerst herausfinden, wie ich überhaupt gesichertes Wissen über die Welt erlangen kann (Epistemologie bzw. Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie). Denn erst, wenn ich verstanden habe, wie ich die Wahrheit über unsere Welt erfahre, kann ich mittels des richtigen Gebrauchs der Vernunft (Logik) [5], herausfinden, wie ich in dieser Welt agieren sollte, um ein gutes Leben zu führen. Letztendlich muss ich also zuerst lernen zu denken und dafür das Denken selbst verstehen, bevor ich die Welt verstehen und schließlich meine Frage und all die mit ihr verknüpften Fragen überhaupt verstehen und richtig beantworten kann – womit die Philosophie soetwas wie die Meta-Wissenschaft der Wissenschaften, des Lebens und des Denkens selbst ist.

So stecken also bereits in der einfachen Frage, so ziemlich alle Disziplinen, mit der sich Philosophen seit Jahrtausenden und auch heute noch beschäftigen. Die Wissenschaften selbst gehören dabei eigentlich traditionell ebenfalls zur Philosophie – Biologie und Physik waren für Aristoteles und Platon noch Teile der Philosophie. Adam Smith, der Vater der Ökonomie, sah sich selbst auch noch als Philosoph; und die Psychologie wurde erst im 19. Jahrhundert eine eigene Disziplin. Doch da diese wissenschaftlichen Teilbereiche mittlerweile so groß und komplex geworden sind, sind sie heute eigene Wissenschaften und Studiengänge. Wer heute Philosophie studiert, beschäftigt sich daher vor allem mit dem, was übriggeblieben ist: mit dem Denken über das Denken sich, mit Logik, mit Definitionen, mit Argumenten, mit politischer Theorie, Ethik, Wissenschafts- und Erkenntnistheorie, mit den Methoden der Wissenschaften und der Reflexion ihrer Ergebnisse, und bewegt sich damit an der Schnittstelle zwischen alle Wissenschaften.

Die Philosophie ist die Suche nach Wahrheit mit dem Ziel ein gutes Leben führen zu können, wofür systematisch unsere Existenz, unser Wissen, die Wissenschaft, unsere Werte, unsere Sprache und zuletzt die Vernunft analysiert, kontextualisiert, kritisch hinterfragt und reflektiert werden.

Die Philosophische Praxis

Wie alle Disziplinen ist auch die Philosophie in der Praxis heutzutage hochgradig spezialisiert – und die wenigsten akademischen Philosophen beschäftigen sich heutzutage direkt mit der Frage nach dem guten Leben, sondern eher mit einer Nische in einem der philosophischen Teilbereiche. Die philosophische Praxis besteht damit vor allem mit der Analyse und Produktion von Konzepten und der Kontextualisierung in den verschiedenen Teilbereichen. Es gibt unter Philosophen z.B. Wissenschaftstheoretiker und Logiker, die (oft zusammen mit Statistikern und Mathematikern) an den Methoden der wissenschaftlichen Forschung arbeiten. Ein wichtiges und aktuelles Feld ist dabei z.B. nach wie vor das sogenannte Demarkationsproblem: Wie lassen sich wissenschaftlichen Theorien von irrationalen Verschwörungstheorien abgrenzen; und woran können wir eigentlich echtes Wissen von Fehlannahmen unterscheiden? [6] An anderer Stelle arbeiten praktische Philosophen und Logiker mit KI-Forschern zusammen, versuchen sowohl ethische Fragen über den Einsatz von KIs zu beantworten, als auch fundamentale Forschungsfragen, wie z.B. sich Rationalität überhaupt bei KIs implementieren lässt. Politische Philosophen analysieren zuweil die Ergebnisse aus der Forschung von Psychologen und Biologen, darauf, welche Implikationen diese für unser Verständnis von Politik und Ethik haben, setzen diese also in einen größeren Kontext. [7] Und so weiter und so fort. Philosophische Praxis bedeutet über das Denken nachzudenken und an den fundamentalen Konzepten unserer Lebens, von der Erkenntnis und den wissenschaftlichen Methoden bis hin zur Ethik und Politik, zu arbeiten. Ohne die philosophische Vorarbeit sind die restlichen Wissenschaften nicht machbar, genauso wie letztendlich jede moderne gesellschaftliche Ordnung auf philosophischen Konzepten und Theorien fußt. Die Schlussfolgerung zu denen Philosophen kommen, können dabei langfristig ganze Gesellschaften prägen. Man denke hierbei nur an den Beitrag der aufklärerischen Philosophen zum Ausbruch der Französische Revolution [8], oder an den Kalten Krieg, in welchem die vom Denken des Liberalismus geprägte westliche Welt und die vom marxistischen Denken geprägte Sowjetunion sich gegenüberstanden.

Zwei Elemente sind dabei bei der philosophischen Praxis meiner Ansicht nach wesentlich hervorzuheben:

Philosophie als systematische Kritik

Zum einem ist die Skepsis und Kritik gegenüber vorherrschenden Dogmen zentral für die Philosophie; die bedingungslose Liebe zur Wahrheit gerade die Grundvoraussetzung, um Philosophie überhaupt betreiben zu können. Wie ein gutes Leben auszusehen hat oder wie die Welt beschaffen ist, das versuchen religiöse und politische Autoritäten nämlich immer den Menschen vorzuschreiben. Allerdings ist das, was eine Autorität wie ein Priester, Imam oder ein Propagandist erzählt, es wäre gut für die Menschen, öfter als nicht eher gut für die Autorität selbst, aber weniger für die Menschen – und auch nicht selten tatsächlich für niemanden sonderlich hilfreich. Wer ernsthaft Philosophie betreiben will, der muss sämtliche Dogmen der Autoritäten hinterfragen und auf die Probe stellen, muss kritisch reflektieren und auch, wie Sokrates es vorführte, die Demut haben, sich das eigene Nicht-Wissen einzugestehen und sich der Wahrheit zu verpflichten. Wer sich nicht primär der Suche nach der Wahrheit verpflichtet, sondern Dogmen oder der eigenen Bereicherung, ist kein Philosoph, sondern im besten Fall ein Sophist. In Platons noch heute sehr lesenswerten Dialogen führt Sokrates dies meisterlich vor, indem er mit gezielten Fragen die Meinungen seiner Mitmenschen unermüdlich hinterfragt, um systematisch die Vorurteile vom tatsächlich, oft eher dürftigen Wissen zu trennen. [9] Diese für die Philosophie notwendigen Methoden und Haltung machen aber auch genuine Philosophie oft schwierig, steht sie doch meist in irgendeiner Form in Opposition zu den Autoritäten; insbesondere der Religionen.

Dies endet für die Philosophen nicht immer gut. Der Vater der westlichen Philosophie Sokrates selbst wurde schließlich in Athen hingerichtet, weil die Mächtigen der Ansicht waren, er würde mit seiner skeptischen Herumfragerei die Jugend auf falsche Gedanken bringen. Das finstere Mittelalter beginnt für einige Historiker mit dem Lynchmord der Philosophin Hypatia durch einen Mob von Christen, angeführt von einem Priester. [10] Und selbst noch nach dem Ende des Mittelalters verbrannte die katholische Kirche Giordano Bruno auf dem Scheiterhaufen für seine These, es könnte Leben auf anderen Planeten geben. Glaubt man den Thesen des Philosophen Leo Strauss, der selbst vor den Nazis in die USA floh, führte diese Verfolgung und Unterdrückung der Philosophen durch die Autoritäten dazu, dass viele Philosophen sich systematisch darum bemühten, ihre Texte so zu schreiben, dass sie für uneingeweihte Zensoren harmlos aussehen, aber für die Eingeweihten ihre intellektuelle Sprengkraft entfalten – etwas, was man besonders bei Philosophen in der islamischen Welt beobachten kann, oder auch recht offensichtlich bei Aufklärern wie Spinoza und Voltaire. [11]

Das Verhältnis zur Wissenschaft

Ein weiterer wesentlicher Aspekt der Philosophie ist, dass sie sehr eng mit der Wissenschaft und der Mathematik verknüpft ist – schließlich benötigt die Weisheit, um die Frage nach dem guten Leben zu beantworten gerade als Basis ein solides Verständnis der Wirklichkeit und ihrer Strukturen. Entsprechend waren solide Kenntnisse der Mathematik schon essentiell für die Aufnahme in Platons Akademie und sind auch heute in der Regel mit der Hochschulreife vorzuweisen. Dies steht selbstverständlich im Kontrast zu dem etwas populären Bild, die Philosophie wäre eine Runde Wein trinkender Taugenichtse, die über den Sinn des Lebens fachsimpeln – und das wohl auch einige Kommilitonen von mir teilten, bevor sie im ersten Semester in der Logikvorlesung aufgeweckt wurden. (Wirklich, wer schlecht in Mathe ist, sollte eher von der Philosophie als Studiengang Abstand nehmen. Philosophen rechnen meist eher wenig bis gar nicht, aber die strenge Anwendung der Logik in der heute dominierenden analytischen Philosophie ist tatsächlich von ihrer Denkweise näher an der Informatik oder Mathematik, als an der Literatur, auch wenn man in der Philosophie viel liest und schreibt.)

Allerdings ist die Philosophie selbst nicht wirklich eine Wissenschaft, sondern eher wie die Mathematik ein für die Wissenschaft notwendiges Gerüst. Man kann zwar die Wissenschaften – und auch die Mathematik – als Teile der Philosophie betrachten, was sie historisch auch lange Zeit waren, aber die wenigsten Philosophen betreiben heute tatsächlich selbst direkt wissenschaftliche Forschung. Es besteht eher eine Aufgabenteilung in der Akademie: Die Wissenschaft ist die Methode, die systematisch objektives, gesichertes Wissen als Erkenntnis gewinnen will, also fragt: Was ist die Wirklichkeit? Wissenschaftler arbeiten also deskriptiv, versuchen, mit ihren Experimenten und Untersuchungen Theorien zu entwickeln, die die Wirklichkeit möglichst akkurat beschreiben und erklären. Mathematiker fragen dagegen, wie die Wirklichkeit strukturiert ist und wie sich diese Strukturen formal beschreiben lassen. Philosophen hinterfragen dagegen zum einem die Grundlagen der wissenschaftlichen Methoden, und fragen danach angesichts der Erkenntnisse aus der Wissenschaft: Was sollen wir damit nun tun? Wie können wir diese Erkenntnisse verstehen und wie hängen sie mit unserem Leben zusammen? Sie arbeiten also oft präskriptiv. Philosophen fungieren damit so ein bisschen wie die Ingenieure der mentalen Werkzeuge unserer Erkenntnis. So wie die Philosophie der Urknall ist, aus dem unser heutiges kulturelles Universum des menschlichen Wissens und Verstehens entsprungen ist, ist sie noch heute der Punkt, an welchem dieses Wissen und Verstehen wieder zusammenläuft, hinterfragt, integriert und mit ihren Implikationen für die Beantwortung unserer Frage nach dem guten Leben benutzt wird.

Die Probleme der Philosophie

Die Philosophie, wie sie heute betrieben wird, hat so einige Probleme. Zum einem ist ihre populäre Wahrnehmung oft sehr weit entfernt von dem, was Philosophie eigentlich ausmacht. In Buchhandlungen liegen zahlreiche seichte Ratgeber und unreflektierte Meinungsstücke, die als Philosophie vermarktet werden, aber thematisch und methodisch oft Welten entfernt sind von der systematischen und oft eher anstrengenden akademischen Philosophie. Die akademische Philosophie ist selbst aber auch nicht unproblematisch.

Die Angst vor der Wahrheit bei den Autoritäten [12], die schon immer Philosophen vor eine Herausforderung stellte, wird gerade in den vergangenen Jahren durch das sich polarisierende politische Klima größer – und als unliebsamer Kritiker will man nun auch nicht herausragen, wenn man nur noch einen Stapel an Publikationen von der Festanstellung an der staatlichen Universität entfernt ist. Da ist die Versuchung groß, eher als ein Archivar der Philosophie noch einmal die Texte der Vorgänger zu sichten, statt nun selbst das Risiko eigener Ideen einzugehen. Der harte Spezialisierungsdruck und die Ausdifferenzierung der akademischen Welt, ermuntern ebenfalls nicht immer gerade zu dem für die Philosophie so wichtigen interdisziplinären Arbeiten und großen intellektuellen Wagnissen. Sehr viel ist mittlerweile durch Spezialisierung ausgelagert, was das Zusammenbringen der Erkenntnisse oft schwierig macht. Die Frage nach der Wirklichkeit, die ein großes Element der philosophischen Arbeit ist, wurde in vielen Bereichen von den Wissenschaften übernommen. Und da die Wissenschaften so erfolgreich sind, haben sie mittlerweile so viel Wissen selbst in den kleinsten Teildisziplinen geschaffen, dass es selten in ein einzelnes Gehirn passt, was die Reflexion und Integration in ein größeres Verstehen natürlich schwierig gestaltet.

Selbst die Frage danach, wie wir gut leben sollen, versuchen viele Menschen zunehmend mit den Erkenntnissen aus der Psychologie und der Neurowissenschaften zu beantworten. Doch gerade dies ist auch ein Beispiel, warum die Philosophie noch nötig ist: die Psychologie und Neurologie als Wissenschaften können uns erklären, wie menschliches Verhalten funktioniert und wie wir es verändern können. Doch wie wir es bewerten oder verändern sollen, ob wir es verändern sollten und ob wir vielleicht etwas anderes verändern sollten (z.B. die Gesellschaft), als auch, ob die Erkenntnisse der Psychologie tatsächlich epistemisch auf festen Boden stehen – um das zu evaluieren und zu entscheiden, dazu brauchte es die Philosophie und ihre Werkzeuge. Die Wissenschaften können uns zwar immer besser sagen, wie und was die Welt ist – aber wie wir mit der Welt umgehen sollen, das können sie uns nicht sagen, dafür brauchen wir die Philosophie.

Es ist vorstellbar, dass vielleicht eines Tages auch das, was wir heute noch Philosophie nennen, vollständig in Wissenschaften zerfallen wird – die meisten Philosophen negieren das heftig, vor allem im Blick auf die Ethik und Politische Theorie, mit dem Verweis auf Humes Gesetz, laut dem sich aus dem Sein kein Sollen ableiten lässt. [13] Die Zeit wird es zeigen, aber es scheint plausibel anzunehmen, dass mindestens solange die Wissenschaften nicht an ihr Ende gelangt sind, wir noch immer Philosophie brauchen werden – erst ein vollständiges Modell der Wirklichkeit, ermöglicht nämlich – wenn so etwas überhaupt möglich ist – eine vollständige Antwort darauf, wie wir in ihr ein gutes Leben führen können. Also ganz abgesehen davon, dass es wenig wahrscheinlich scheint, dass die Menschheit jemals das Ende der Wissenschaft erleben wird – die Philosophie steht nicht nur an dem Beginn der Wissenschaft, sie wird vermutlich auch noch an ihrem Ende bestehen. [14]

Das größte Problem zurzeit ist aber vermutlich, dass für die meisten Menschen, die die Fähigkeiten haben, um exzellente Philosophen zu werden, die Antwort auf die Frage nach dem guten Leben eben meist ziemlich sicher nicht eine Karriere in der akademischen Philosophie ist.

Sollte man es studieren?

Das Studium der Philosophie ist ein großartiges Studium, meiner bescheidenen Ansicht nach, insbesondere, wenn man vielseitig interessiert ist, und wenn man sowohl seine analytischen als auch sprachlichen Hirnareale zu betätigen liebt und von einer großen Neugier für das Leben erfüllt ist. Ich persönlich hätte am liebsten Biochemie, Politikwissenschaft, VWL, Psychologie, Literatur und Physik gleichzeitig studiert, aber da das Leben nunmal kurz und im Schädel nur begrenzt Platz ist, musste ich einen Kompromiss finden. Die Philosophie war und ist für mich der beste Kompromiss, da sie es mir ermöglicht mich mit all diesen Disziplinen, ihren Grundlagen und Implikationen zu beschäftigen. Zudem lässt sie mir auch noch die Zeit und die Möglichkeit meiner größten Leidenschaft, dem Schreiben, nachzugehen. Der Preis ist natürlich, dass ich vermutlich nun in keiner dieser Disziplinen Forscher werden kann, aber damit kann ich leben, da mein Lebensentwurf mehr an wirtschaftlichen und kreativen Tätigkeiten ausgerichtet ist. Dafür kann ich mich wiederrum aber auch mit den fundamentalen Fragen, die den Wissenschaften zugrundeliegen, beschäftigen – etwas, was ich während meines Studiums der Kommunikationswissenschaft und der Psychologie schmerzlich vermisst habe. Vor allem nachdem ich mich im Rahmen der Kommunikationspsychologie intensiv mit Medien und Propaganda beschäftigt hatte, also damit, wie den Menschen Unwahrheiten glaubhaft gemacht werden, brannte die Frage danach, was nun eigentlich die Wahrheit ist, viel zu heiß in mir, sodass ich dann in die Philosophie gewechselt bin.

Wer Philosophie studieren will, sollte sich aber auf jeden Fall klarmachen, was er damit später machen will und entsprechende Fähigkeiten und Erfahrungen parallel dazu aufbauen; insbesondere, wenn man nicht in den universitären Betrieb gehen will. Wie in keinem anderen Studium lernt man im Studium der Philosophie systematisch, kritisch und reflektiert zu denken – aber man ist entsprechend auch kaum spezialisiert, man ist kein Fachidiot, sondern eher ein Generalist. In der modernen, ausdifferenzierten und spezialisierten Welt, ist es aber als Generalist oft anfangs eher schwierig seine eigene Nische zu finden. Ein Platz lässt sich aber langfristig eigentlich immer finden, vor allem auch deswegen weil wir gerade angesichts all der Disruption, Polarisierung und oft engstirnigen Fachidiotie, die unsere öffentlichen Debatten zerreißt, gerade mehr generalistisches Denken brauchen, insbesondere an den Schnittstellen unserer Institutionen. Des Weiteren ermöglicht die im Philosophiestudium trainierte tiefe Auseinandersetzung mit fundamentalen Konzepten und der Logik ein sehr schnelles Einarbeiten in fachfremde Tätigkeiten. So ist z.B. Programmieren für jemanden, der bereits aus der Philosophie eine gute Intution für logische Strukturen mitbringt, erfahrungsgemäß sehr einfach zu erlernen; genauso ist aber auch das schnelle und kritische Einarbeiten in neue Themenbereiche ein Skill aus der Philosophie, welcher z.B. im Consulting oft einen essentiellen Bestandteil des Arbeitsalltages ausmacht.

Aber auch, wenn man nun nicht an einer Universität ein Philosophiestudium aufnimmt, schadet es nicht sich der Philosophie zu widmen. Brauchen tun wir sie nämlich alle.


Weitführende Literatur:

[1] Prechtproblem: https://www.freitag.de/autoren/michael-angele/das-problem-mit-richard-david-precht
[2] Philosophie Definition & Geschichte: https://www.worldhistory.org/philosophy/
[3] Aristoteles Ethics: https://plato.stanford.edu/entries/aristotle-ethics/
[4] Philosophy of Language: https://www.britannica.com/topic/philosophy-of-language
[5] Eine gute Einführung in die Logik von meinem damaligen Prof. Leitgeb: https://www.mcmp.philosophie.uni-muenchen.de/students/math/logik_skript.pdf
[6] Demarkationsproblem: https://plato.stanford.edu/entries/pseudo-science/
[7] Ein tolles Buch von Richard Joyce über Evolutionstheorie und Moral: https://amzn.to/3FKWlQU
[8]Die Philosophen und die Französische Revolution: https://www.historyjournal.net/article/44/2-2-19-652.pdf
[9] Platons Gorgias-Dialog: https://amzn.to/3Ss891X
[10] Hypatia: https://www.philomag.de/artikel/die-groesste-ihrer-zeit
[11] Leo Strauss: https://amzn.to/47irqqR
[12] Paul Boghossian Angst vor der Wahrheit: https://amzn.to/47jz2cU
[13] Humes Gesetz bzw. Is-ought: https://plato.stanford.edu/entries/hume-moral/#io
[14] End of Knowledge: https://aeon.co/essays/should-academic-disciplines-have-both-a-purpose-and-a-finish-date


Dieser Text soll der erste Teil einer Essayreihe von mir werden unter dem Titel „Prämissen“. Mit dieser Reihe will ich mehr Systematik und Transparenz in mein Denken bringen, da ich mittlerweile so viele Bücher, Artikel, Essays und Arbeiten veröffentlicht habe – die mitunter auch aufeinander aufbauen  – dass es vor allem für jene, die jetzt nicht jeden meiner Texte kennen, es vielleicht manchmal schwierig sein kann, den Überblick und den roten Faden zu erkennen. Die Essayreihe der Prämissen soll hierbei Abhilfe schaffen. Als die ersten Kapitel sollen dabei nach „Wozu Philosophie“, Ausführungen zur Rationalität, menschlichen Natur, Wahrheit und Wirklichkeit und mehr kommen.


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Nikodem

Nikodem Skrobisz, auch unter seinem Pseudonym Leveret Pale bekannt, wurde am 26.02.1999 in München geboren. Er ist als nebenbei als Schriftsteller tätig und hat bereits mehrere Romane und Kurzgeschichten publiziert, die meist philosophische und gesellschaftliche Themen behandeln. Er studierte Kommunikationswissenschaften, Psychologie, Philosophie sowie Sprachen und Literatur. Aktuell studiert er im Master Philosophie. Halbprivate Einblicke gibt es auf Instagram

Ein Gedanke zu „Wozu Philosophie? [Prämissen 0]

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