Warum wir noch nicht denken [Wege nach Utopia]
Das Leben meistern, die Menschheit retten, die persönlichen Feinde vernichten, die Welt verbessern … Egal welche Ziele ein Mensch verfolgt: Die Klarheit darüber, ob es die richtigen Ziele sind und die Erkenntnis darüber, welche Entscheidungen und Handlung zu vollziehen sind, lassen sich nur durch ein intensives und freies Benutzen der Vernunft erreichen: durch das Denken. Das Denken ist somit der hell leuchtende Leitstern eines jeden richtigen, erfolgreichen und erfüllten menschlichen Lebens und Strebens.
„Das Bedenklichste ist, dass wir noch nicht denken; immer noch nicht, obgleich der Weltzustand immer bedenklicher wird“, konstatierte jedoch bereits Martin Heidegger in seiner 1951 gehaltenen Vorlesung „Was heißt denken?“ (Heidegger, 2007 S.6). In den Jahrzehnten seit ihrer Formulierung, hat diese Diagnose sich nur noch mehr bewahrheitet. Wir denken sowohl als Individuen als auch als Gesellschaft noch immer nicht – weder tief noch lang genug, und seit neustem auch oft nicht mehr gerade genug, obwohl unsere in ihrer Komplexität explodierende Gegenwart das Denken so notwendig macht wie nie zuvor.
Doch wie kann das sein? Verfügen wir nicht heute so viel Wissen, so viele Daten, so viel Macht und Geschick, so eine ausdifferenzierte Wissenschaft und feine Technologie, so viel Wissen, Bildung und Ausbildung, so viele Möglichkeiten Gedanken zu formulieren, testen und zu teilen, wie noch nie in der Geschichte der Menschheit? Müsste uns all das nicht eigentlich dazu verhelfen, mit unserem menschliche Denken genauso wie mit unserem wissenschaftliches Handeln in nie gekannte Höhen aufzusteigen?
Das mag auf den ersten Blick so erscheinen, aber tatsächlich befindet sich nach genauerer Betrachtung das Denken in einer Krise, es wird augenscheinlich immer flacher, plumper, verwirrter und zielloser. Tatsächlich denken wir noch nicht genug. Stattdessen wächst eine kulturelle Wüste, breitet sich über die Köpfe der Menschen aus, und diese Verwüstung verschlingt den fruchtbaren Boden des Denkens.
Die Wissenschaft denkt nicht
Um zu verstehen, warum der gewaltige wissenschaftliche Fortschritt unserer Zeit keinen zwangsläufigen Fortschritt im Denken bedeutet – und im Gegenteil solch einen auch mitunter ausbremsen kann -, muss man zuerst verstehen, dass die Wissenschaft an sich nicht denkt und da, wo sie es tut, kann sie dies nur innerhalb ihrer eigenen methodischen Grenzen. So nützlich die wissenschaftliche Methode ist, um sich bis an das Fundament der greifbaren Dinge zu bohren – sie kann uns die harte Arbeit des Denkens, welches weit tiefer bohrt und auch höher fliegt, nicht abnehmen. Das die gewöhnlichen methodischen Bahnen der Wissenschaft verlassende Denken großer Denker wie Einstein ist es daher auch, das die großen Paradigmenwechsel und Durchbrüche für die Wissenschaft ermöglicht und ihr die Türe zur Erschließung neuer Gebiete eröffnet.
Natürlich denken Wissenschaftler und bedienen sich der Vernunft, doch sie bedienen sich ihr vor allem instrumentell als einem Werkzeug, um mittels der wissenschaftlichen Methode Daten und im Anschluss Wissen aus der empirischen Interaktion mit der Welt zu extrahieren. Wissenschaftler schürfen und schaffen Wissen, bringen es wie Goldklumpen aus den dunklen Tiefen ins helle Tageslicht unserer Wahrnehmung. Doch alles Gold der Welt ist an sich nutzlos, wenn es nicht vernünftig verwendet wird – es kann sogar mitunter gefährlich verführerisch und blendend wirken. So ist auch alles Wissen der Welt an sich nutzlos oder sogar gefährlich, wenn es nicht in einen erkenntnisreichen Kontext gebracht und von einem sinnvollen Gedanken gefasst und von einem durch den vernünftigen Gedanken geleiteten Willen zu einem richtigen Handeln genutzt wird.
Die Wissenschaft generiert zum Beispiel durch Experimente und Erkenntnisse zur Aerodynamik und chemischer Reaktionen zuerst das Wissen für den theoretischen Bau von Raketen. Unser durchs Denken oder eben Nicht-Denken gerichteter Wille entscheidet jedoch letztendlich ganz unwissenschaftlich was wir mit diesem Wissen tun. Ob wir zum Beispiel die Raketentechnologie überhaupt ausprobieren. Oder bei ihrer Anwendung schließlich über ihren Grad, sowie ob wir dann die Raketen zum Krieg und unserer eigenen Ausrottung gebrauchen. Oder ob wir sie als positives Vehikel für die extraterrestrische Expansion nutzen, damit das menschliche Wirken und das Leben an sich über die Grenzen unseres Planeten hinauswächst. Oder sie lediglich für die Ästhetik in Form von Feuerwerken in den Himmel jagen.
Die Wissenschaft zeigt uns, was da Ist, wie die Dinge beschaffen sind, und was passiert, wenn wir diese Dinge verändern – zum Beispiel, was passiert, wenn wir ausreichend Uranatome spalten oder Wasserstoff entzünden. Doch erst das Denken darüber kann uns sagen, was das alles überhaupt für uns als Menschen bedeutet und im nächsten Schritt ob und wie wir die Möglichkeiten der Wissenschaft und der aus ihr erwachsenden Technologie zu nutzen haben.
Die Wissenschaft hat uns diesem Beispiel weiterfolgend schon seit langer Zeit das Wissen bereitgestellt, das wir benötigen, um uns als Menschheit den Weg zu einer interstellaren Spezies zu schmieden. Das Ausmaß unserer Fähigkeiten als Spezies wird uns dabei insbesondere bewusst, wenn wir bedenken, dass der Bordcomputer der Apollo 11 bei der allerersten Mondlandung 1969 nur 73 Kilobyte Speicher hatte – womit ein aktuelles Smartphone von der Rechenleistung her theoretisch in der Lage wäre hunderte Millionen Mondlandungen gleichzeitig zu steuern. (Neumann 2019)
Jahrzehntelang lag dieses Wissen für die menschliche Eroberung der Sterne brach, verrostet weitestgehend ungenutzt in den Büchern, Festplatten und Köpfen. Bis Elon Musk das Wissen nahm und den Acker des Denkens erneut fruchtbar machte durch sein Denken und seinen Willen. Elon Musk hat mit seinem Denken – das maßgeblich inspiriert wurde von Isaac Asimov erdichteten Epen – erst bewirkt, dass der kollektive Wille sich durch SpaceX und nun deren Konkurrenz zunehmend wieder lebensbejahend zu den Sternen aufrichtet. Darin besteht Musks große Leistung tatsächlich: in seinem Denken, vor allem Umdenken, in seinem unüberhörbaren „Nein“ zu der Visionslosigkeit der Wüste unserer Zeit und in einem bedingungslosen „Ja“ zum Leben und Streben in die Höhe. Dies beschränkt sich auch nicht nur auf seine hochgestecktes Ziel jenseits des Planeten, sondern auch in seinem technokapitalistischen Feldzug gegen den Klimawandel, für den er denkend und handelnd auch Unmengen an brachliegenden und neuem Wissen mobilisiert. (Ein Blick auf Elon Musk Twittertimeline ist hingegen der beeindruckende Beweis, dass selbst die größten Denker unserer Zeit nicht immer denken.)
Bei anderen Arten des Wissen – über die ökonomisch effektivsten Methoden der Massentierhaltung, über den Bau von Massenvernichtungswaffen zum Beispiel – wäre es vernünftig gewesen, wenn wir von Anfang an „Nein“ zu ihnen gesagt hätten, aber das war leider damals undenkbar – oder zumindest nicht ausreichend bedacht worden.
Künstliche Intelligenzen denken nicht
Manch einer mag nun auf Künstliche Intelligenzen verweisen, die uns bald das Denken abzunehmen versprechen. Doch KIs, egal wie sehr wir sie entwickeln, werden soweit absehbar stets vor allem nur eins tun: Daten analysieren und replizieren, Muster erkennen und replizieren, Wissen generieren, Wissen interpretieren, Prognosen stellen und prüfen. Künstliche Intelligenzen werden zwar Wissenschaft betreiben können in einem vermutlich ungeheuerlichen Maße und sich durch die Fundamente dieser Welt im rasanten Tempo fressen, unermesslichen Mengen an Wissen und Erkenntnissen produzieren – aber sie werden nicht denken können, denn ihre Prozesse, Ziele und auch möglichen Entscheidungen werden stets von dem Willen der menschlichen Schöpfer ausgehen, und deren Wille von deren menschlichen Gedanken. Sofern wir kein Bewusstsein erschaffen, das tatsächlich zu denken vermag, werden auch sogenannte Künstliche Intelligenzen das bleiben was sie bereits jetzt sind: reine, nicht-denkende Intelligenzen, hochkomplexe Werkzeuge der Daten- und Wissensgenerierung, die aber willen- und gedankenlos sind und damit Produkte und Sklaven des Denkens und Wollens ihrer Schöpfer bleiben werden. Das Denken fällt damit weiterhin auf uns Menschen zurück. Die größte Gefahr der KIs ist tatsächlich – neben allen potentiellen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Folgen –,dass wir durch sie das eigenständige Denken vergessen.
Die wissenschaftliche Forschung – egal ob durch Menschen oder KIs betrieben – kann uns zwar sagen, aus welchen Organen, Knochen, Molekülen und elektrischen Impulsen ein Mensch besteht; sie kann uns sogar durch die die heutige Psychologie dominierende stastische Verfahren mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit vorhersagen, wie sich ein Mensch verhalten wird unter bestimmten Umständen. Aber sie kann uns nicht sagen, was es bedeutet ein Mensch zu sein, was überhaupt etwas bedeutet; und noch weniger, was wir mit unserem Menschensein tun sollen, welchen Wert wir dem Sein zuschreiben sollen und welche Entscheidungen und Werte die richtigen sind. Vor allem auf Fragen wie Albert Camus berühmte „Soll ich mich umbringen oder einen Kaffee trinken?“ kann die Wissenschaft nur schweigen. Genauso aber bei aktuellen wie „Wie viele Ressourcen sollen wir dem Kampf gegen den Klimawandel und wie viele der Expansions des Lebens über die Grenzen der Erde hinaus und wie viele der Armutsbekämpfung zuweisen? Was ist uns am wichtigsten: dieser Planet, das Leben an sich, unsere Spezies?“. Für den Versuch der Beantwortung solcher dringenden Fragen über unser Leben und dessen richtige Führung müssen wir uns dem philosophischen Denken zuwenden.
Sich mit der Philosophie zu beschäftigen ist noch kein Denken
Wenn weder Wissenschaft noch die aus ihr entstehende Technologie uns das Denken abnehmen können – sollen wir dann das Denken in der „Philosophie“ suchen? Nein, denn wir werden es auch dort nicht finden. In den Texten der großen Philosophen finden sich viele von ihnen lang gedachte und niedergeschriebene, wertvolle und einsichtsreiche Gedanken – aber auch die Philosophie als solche denkt nicht und kann uns das Denken nicht abnehmen.
Es wird heute so viel „Philosophie“ konsumiert wie noch nie in der Menschheitsgeschichte – unzählige Podcasts, Zeitschriften, Bücher, YouTube Kanäle und Instagramseiten widmen sich augenscheinlich der Philosophie.
Doch das bedeutet nicht, dass mehr gedacht wird. Ganz im Gegenteil: Philosophiebücher bloß zu lesen. Philosophiepodcasts hören, um sich klug zu fühlen und in der Mittagspause intelligent klingende Zitate von sich zu geben. Allgemein die Ideen irgendwelcher Philosophen bloß wiedergeben. Sich Befriedigung suchen in schönen Worten, Bestätigung in schmeichelnden Theorien, ein Ventil in vitalisierenden Visionen. Mit aus dem Kontext gerissenen Zitaten um sich werfen, um irgendetwas von der Wirklichkeit entkoppeltes Quergedachtes mit einer Autorität zu untermauern. Wissenschaftliche Erkenntnisse absorbieren. – Das alles hat nix mit Denken zu tun. Das ist ein Konsumieren, Sammeln und Wiedergeben von Informationen und Konzepten, ein Spielen mit vorgefertigten und oft falsch verstandenen Gedanken, aber noch kein eigenes Denken.
„Daß man für die Philosophie Interesse zeigt, bezeugt noch keine Bereitschaft zum Denken.“ Im Gegenteil: „die Beschäftigung mit der Philosophie kann uns sogar am hartnäckigsten den Anscheinen vorgaukeln, dass wir denken[…]“ (Heidegger 2007, S.7) und somit vom tatsächlichen Denken abhalten.
Ein Philosophiestudium mag uns die Gesetzmäßigkeiten logischen Denkens in einer formalisierten Form lehren, es kann uns sogar vor gängigen Fehlern des Denkens warnen – zum konkreten Denken kann es uns aber weder zwingen noch bringen. Etwas zu lernen ist an sich nämlich noch kein Denken – dies ist nur davor und danach möglich, bei be- oder erdenken des Gelernten. Wir müssen uns also schon selbst um das Denken bemühen. Der konsequente Wille zum Denken ist es, der einen tatsächlichen Denker von einem bloßen studierten, sogenannten Philosophen oder eines Popintellektuellen unterscheidet. Die Philosophie der Universitäten und des Infotainments ist kein Denken, sondern lediglich die Chronik und Lehre des bereits Gedachten – wer denken will, muss stets über die bestehende Philosophie hinausgehen, darf nicht in ihr verharren, wie es vor allem Dozenten ihrer Aufgabe nach zu tun verleitet werden.
So ist es kein Zufall, dass gerade in den geisteswissenschaftlichen Fakultäten der Universitäten, die sich rühmen das Denken zu lehren, viel Gedankenlosigkeit herrscht. Stattdessen sind die Gedanken dort oft getrübt und vergiftet von Ressentiment, der Wille statt auf die Wahrheit und das Denken, auf den Konsum und die Reproduktion von Ideologien fokussiert. Die meisten geisteswissenschaftlichen Akademiker und öffentlichen Intellektuellen sind keine wahrheitssuchenden und gedankenfassenden Denker, sondern irgendeiner Sache – meist Macht oder Ideologie – dienende Priester. (Etwas, was bei einer Betrachtung über die Ursprünge der Moral und Akademikerklasse sehr einleuchtet: https://leveret-pale.de/nietzsches-genealogie-der-moral-von-herren-und-sklaven)
Allgemein, die Klausurenpaucker und Notenoptimierer, die in Universitäten versauern, verändern meist nicht mehr groß die Welt zu einem Besseren. Wenn, dann vergiften sie sie nur zu oft mit ihrer vergeistigten Wut darüber, dass außerhalb der Klassenzimmer und Vorlesungssäälen kluge Worte allein nicht reichen, und der Reichtum und der Ruhm nicht den allein Lernenden sondern eher den Denkenden und Handelnden zufällt. Wer daher nach revolutionären und klaren, befreienden Gedanken sucht, der findet sie abseits der Bücher heute eher in dem digitalen Cyberdschungel der Internetweiten, wo Wahnsinn und Genialität elektrisch geladen als helle Blitze zwischen den Platinen funken und viral metastasieren in memetischen Gedankenkriegen.
So ist es auch kein Zufall, dass viele der größten Philosophen der Menschheit Außenseiter waren, die gar kein Philosophie studierten – wie Nietzsche, Wittgenstein, Popper, Bataille – und somit erst frische Gedanken von Außen in die Philosophie trugen. Nur selten vermochten es Rebellen – wie Heidegger, Camus, Russel, Land – von innen gegen die Orthodoxie und die Gedankenlosigkeit der Universitäten aufbegehren, sodass sie noch neue Gedanken zu fassen vermochten.
Die Philosophie denkt also nicht. Wenn wir denken wollen – und das sollten wir, denn es ist viel Bedenkliches an unseren Leben und an unserer Welt – so können wir nur auf uns selbst zurückgreifen. Wir müssen beginnen zu denken, unsere Vernunft anstrengen und freisetzen. Das ist anstrengend, ein gewaltiger Kraftakt – und es wird uns von allen Seiten nur noch schwerer gemacht. Denken ist immer ein erschöpfender und riskanter Kampf: gegen die wachsende Wüste der Gedankenlosigkeit, gegen die Welt, gegen sich selbst und vor allem das Tierische und Träge im Menschen.
Der Mensch ist ein vernunftbegabtes, aber vernunftunwilliges Tier
Der Mensch ist ein vernunftbegabtes Tier. Das ist der Konsens der Philosophen und der Psychologen seit nun Jahrtausenden. Die Begabung zur Vernunft führt jedoch nicht zwangsläufig zur Benutzung der Vernunft, zum mündigen Denken. Der Menschen denkt nur dann und ist nur dann vernünftig, wenn er sowohl in der Lage ist dazu vernünftig zu sein als auch sich dafür entscheidet von seiner Vernunftbegabung Gebrauch zu machen und zu denken. Zum Denken muss sich der Mensch entscheiden von dem Tierischen in ihm loszulösen.
Die meisten Menschen denken im Alltag nicht und bedienen sich nicht der Vernunft aktiv oder höchstens als ein den Zwängen und Trieben untergeordnetes Instrument. Sie verhalten sich nur insofern „vernünftig“ wie es domestizierte Tiere tun, die durch ihre Konditionierung (also im menschlichen Falle Kultur und Gesellschaft) vernünftiges Verhalten aufgezwungen und antrainiert bekommen haben. Das ist nur verständlich, schließlich ist Denken eine energieintensive, geistig auslaugende und selten profitable – kurz eine gänzlich unökonomische Tätigkeit, die überschwänglich und verschwenderisch mit den geistigen Ressourcen umgeht so wie der Tanz es mit den körperlichen Ressourcen tut. Die meisten Menschen sind – verständlicherweise – ökonomisch gar nicht in der Lage sich die Zeit zum tiefen Denken zu nehmen, oder schlicht nach langen Arbeitstagen zu erschöpft, um die dafür benötigte Kraft zu bemühen.
Denken ist eine Tätigkeit, die man sich erst leisten können muss. Wie der Tanz ist das Denken zwar jedem Menschen zugänglich – die Beherrschung und Entfaltung des Denkens in all seinen Möglichkeiten und Schönheiten ist jedoch nur jenen vorbehalten, die sowohl mit den richtigen Voraussetzungen geboren wurden, als auch die notwendige und schweißtreibende Übungen absolvieren, unermüdlich bis zur Perfektion und darüber hinaus. Ein schnelles, zielgerichtetes Denken, ein klarer konzentrierter Gedanke ist auch wenn er oft so einfach und mühelos erscheint wie eine elegante Tanzeinlage, ebenso wie diese oft das Ergebnis von jahrelanger, schmerzvoller Selbstzüchtigung. Die großen Philosophen der Menschheit – sie sind alle Tänzer des Geistes.
So einige, habe sich bei diesem Tanz mit den Göttern so weit verausgabt, so viele Energien entfesselt, um mit neuen Gedanken den menschlichen Horizonte mit ihrem Schwung zu verschieben, dass sie sich mit Denken um das Denken brachten, und Ikarus gleich Feuer fingen und in einen Abgrund stürzten, kurz: wahnsinnig wurden. Hölderlin, Nietzsche, Bataille, Land, die Liste derer, die sich selbst für den Fortschritt der Gedanken verbrannten, ist unerschöpflich, und beginnt wahrscheinlich bereits bei Sokrates und den Propheten der Vorzeiten. Für diesen Menschen war das Denken die Leidenschaft ihres Lebens – und wie jede in der Gänze ausgelebte Leidenschaft, schuf sie unermessliches Leid, das sie für deren Auslebung auf sich nehmen mussten.
Die Gehirne der meisten Menschen sind darauf ausgerichtet möglichst wenig zu denken, sich allgemein möglichst wenig den gefährlichen, höheren Zwecken dienenden Leidenschaften hinzugeben. Das macht evolutionär auch Sinn, denn hätten unsere Vorfahren alles zerdacht oder für ihre Visionen riskiert, so wären sie wohl ausgestorben. Es hätte sie zu sehr gelähmt, wenn sie statt zu jagen oder zu fliehen, gedacht und ununterbrochen ihre Zeit einer Leidenschaft gewidmet hätten. Doch gerade heute, ist es andersrum: Es lähmt uns als Menschheit auf den Weg zu einer besseren Welt, dass wir nicht gelernt haben gegen den Widerstand, gegen die wachsende Wüste, anzudenken. Und je mehr die Wüste wächst, desto mehr erstickt das Feuer der Leidenschaft, desto schwerer wird der Tanz des Denkens, desto mehr verkommt er zur Anomalie und desto mehr läuft er in Gefahr als Fata Morgana auf einem Bildschirm zu enden.
Wie die digitale Krücke das Denken verkrüppelt
Denken ist prinzipiell etwas Schwieriges. Egal, wie intelligent und gebildet ein Mensch ist, das Denken ist immer eine Herausforderung. Tatsächlich neigen gerade gut gebildete Menschen mit der Zeit das Denken zu verlernen, weil sie Angesicht eines Problems statt zu denken, einfach durch das angeeignete Wissen zu einer vorliegenden, angelernten Antwort abkürzen, meist ohne zu bedenken wie richtig sie tatsächlich ist. Psychologen – am prominentesten Daniel Kahnemann – widmen heute mitunter ganze Karrieren der Erforschung dieser Neigungen und Methoden zum kognitiven Abkürzen und deren fatalen Folgen auf unsere Entscheidungen, vor allem in der Wirtschaft.
Es erfordert wie bei allen Künsten so auch beim Denken einer seltenen Verbissenheit, einer wirklichen Leidenschaft, um nicht in solche Fallen und die der Selbstzufriedenheit zu tappen und sich auf seinen Lorbeeren auszuruhend zu degenerieren. Die Digitalisierung generalisiert diese problematische Gewohnheit das Denken durch das Abrufen von Wissen zu substitutionieren leider massiv, weil sie es massiv erleichtert.
Natürlich spart es in den meisten Situationen viel Zeit, wenn man statt zu grübeln, einfach schnell das Smartphone zückt und nach einer Antwort googelt. Aber kognitiv gleicht das als würde man jedes Mal den Fahrstuhl und das Auto nehmen, anstelle von Treppe und Fahrrad. Es mag kurzfristig Energie und Zeit sparen – aber langfristig verkümmern die Muskeln, verrostet der Denkapparat, bis wir geistig zu verfettet und träge sind, so dass das lange und intensive Denken immer mühsamer wird. Unsere Energie und Zeit wird dadurch unterm Strich knapper, am fatalsten durch Fehlentscheidungen durch das fehlende Durchdenken möglicher Konsequenzen.
Das Problem unserer digitalen Zeit ist zuerst, dass sie so komplex und durch unsere Vernichtungskapazitäten so gefährlich geworden ist, dass wir es uns nicht leisten können nicht zu denken. Das zweite große Problem ist, dass uns alles in der digitalisierten Welt danach designt wird, den Menschen das Denken abzunehmen, es ihn abzugewöhnen und ihnen mit deutlich verführerischen, alternativen Gütern zu betäuben.
Dies hört jedoch nicht nur bei den schieren Daten- und Wissensmengen auf, die das Denken oft in einer schieren Informationsflut des Irrelevanten ertränken oder zum Abkürzen verführen.
Die digitale Verwüstung des Denkens
Die größte Gefahr der digitalen Welten liegt in der endlosen hedonistischen Ablenkung und Betäubung, die sie bieten und den Menschen aufdrängen.
Gelegentlich ist es gesund und notwendig mit Unterhaltung und Vergnügen den Geist zu zerstreuen, und ihn so auch für neue Erfahrungen, neue Schönheiten und Inspirationen des Lebens zu öffnen. Doch eine andauernde, alltägliche Zerstreuung – wie sie in Zeiten der Dauerverfügbarkeit von Netflix, YouTube, Pornographie und Videospielen et cetera leider zur Norm geworden ist – lenkt nicht nur vom Leben selbst ab und verzerrt unsere Wahrnehmung davon was real und richtig ist sondern hindert uns auch oft am Denken.
Solch eine andauernde Zerstreuung verhindert, dass man überhaupt noch die Zeit und Kraft dafür findet, den Geist für das Denken wieder zu sammeln. Die andauernde Zerstreuung führt durch Gewöhnung und Sucht dazu, dass immer mehr Menschen durchgehend zerstreut leben, sich über nichts im klaren sind, weder ihre Identität noch ihre Ziele. Fatalerweise sind auch meist nicht mehr in der Lage sich aus der Zerstreuung wieder zu befreien, da das notwendige Denken zum Erkennen und Beheben ihrer destruktiven Lage von der Lage selbst unterbunden wird. Und ständig taucht auf dem Bildschirm eine neue Verführung auf, ein neues Lebensmodell, ein neuer Vorschlag, ein neues und interessanter wirkendes Leben, eine neue Reise, eine neue Person, und nicht scheint fest, da tausende an blinkenden Alternativen einen unter sich zerreißen, bis man nichts mehr ist als eine Hülle, die sich mal mit jenem, mal diesen neuen Ideenstrom und Trend füllt, aber keine eigene Identität mehr ausbildet. So irren sie nervös umher, von einem digitalen Kick und Hit zu nächsten. Die Identitätsprobleme, die Bindungsängste, die FOMO-Ängste etwas zu verpassen, die hedonistischen Depressionen – bei denen die Betroffenen nicht mehr in der Lage sind etwas anderes zu tun als sich zu vergnügen, zu zerstreuen – und die Konzentrationsstörungen unserer Zeit rühren zu großen Teil in diesem Sog der konstanten Zerstreuung und den Dauerbombardement unserer neurologischen Systeme mit brachialen Stimuli.
Das daraus folgende Schrumpfen der Aufmerksamkeitsspanne und der Konzentrationsfähigkeit, sowie die durch den Überfluss an starken externen Stimuli erzeugte Abnutzung des neurochemischen Belohnungssystems, machen es schwierig, sich für auf ein so niedriges Stimuli wie die eigenen, internen Denkprozesse einzulassen. Es ist schwierig, das richtige, echte Interesse für das eigene Denken aufzubringen.
Damit wir aber über etwas wirklich nachdenken, uns mit etwas wirklich beschäftigen, müssen wir ein „Interesse“ dafür entwickeln – im ursprünglichen Sinn, denn „Inter esse“ bedeutet „dazwischen sein“, „in etwas drin sein“. Ein echtes Interesse für etwas zu haben ist etwas glänzlich anderes, als es „interessant“ zu finden. „Interessant“ finden die Menschen heutzutage vieles – aber damit meinen sie in der Regel nur, dass es ihre abgestumpfte Aufmerksamkeit ausreichend erregt, um in der ertränkenden Flut der Informationen im Digitalzeitalter, bewusst wahrgenommen zu werden. Etwas aber kurz zu erkennen, wahrzunehmen und zu konsumieren bedeutet noch lange nicht, dass man es in einen Gedanken gefasst hat. Ein echtes „Interesse“ für irgendetwas haben die Menschen leider heutzutage selten. Ein „Interesse“ zu haben bedeutet nämlich glänzlich mit seiner Aufmerksamkeit in die entsprechende Thematik einzutauchen, sodass sie unsere Gedankengänge erfüllt und die trägen Mühlen des Denkapparates in Bewegung bringt.
Denken erfordert genau das, es erfordert Zeit, es erfordert ein sich einlassen auf ein Thema, ein richtiges Interesse, all das, was im rasenden Tempo der digitalen Welt zu kurz kommt.
Die Trübung des Denkens durch die Gefühle
Doch nicht nur die äußere Welt mit ihren Stimuli und das tierische Fundament unserer Natur machen das Denken schwierig. Selbst wenn wir gegen diese ankommen, so ist noch immer das Denken von unseren inneren Gedanken- und Gefühlswelt bedroht.
Als Wegweiser und Grenzlinien sind Gefühle für das Denken unerlässlich. Sie sind schließlich das, was neben dem Denken uns zu Menschen macht und zumindest im optimalen Fall auch Ausdrücke unserer Werte. Doch das menschliche, allzumenschliche Fühlen, vor allem in großer Intensität, mag uns leicht täuschen und uns da vorgaukeln wir würden denken, wo wir tatsächlich fühlen. Sowohl die klassischen, als negativ wahrgenommenen Gefühle wie Hass, Wut, Gier, Neid und Ekel als auch solche wie Überschwang, Euphorie und vor allem Mitgefühl und Mitleid können unsere Wahrnehmung und unser Denken massiv trüben und zu falschen Entscheidungen führen. Insbesondere Propaganda, reißerische Medienberichte, Dokumentarfilme und viele Formen Infotainment neigen dazu, durch starke Gefühlserregungen die Wahrnehmung der Wirklichkeit massiv zugunst von Ideologie oder Profit zu verschieben, während sie zugleich tückischerweise eine Wahrheitsvermittlung suggerieren.
Der Machtinstinkt, die eigenen verdrängten Interessen, ist eins der stärksten der Gefühle, der das Denken vor allem bei den Machtlosen und Machtberauschten sich regelmäßig zu eigenen macht. (Wieder etwas, worauf Nietzsche deutete.) So halten sich viele für „erleuchtete“, für „aufgeklärte“ und tiefe Denker, während sie nur die Meister darin sind, ihre Gefühle von Hass, Wut und Ressentiment zu rationalisieren, um ihre Selbstverachtung und Ohnmacht hinter einer mächtigen Theorie zu verstecken. Vor allem Intellektuelle und Berufaktivisten, die oft voller Wut darüber sind, dass sie trotz ihrer hohen Intelligenz oder ihres aus ihrer Sicht allerwichtigsten Engagements ökonomisch und sozial nicht an der Spitze der Gesellschaft stehen, vermögen aus ihrem Hass auf die Bessergestellten ganze Ideologien zu gebähren. Auch das ist kein freies Denken, auch das ist nur instrumentelle Vernunft gefangen vom Gefühl.
Das klare Denken und die Liebe
Natürlich ist es auch für das Leben notwendig und schön manchmal unvernünftig zu sein, den Kopf zu verlieren, in die Ekstase eines starken Gefühls so hineingesogen zu werden, dass das klare Denken nicht mehr möglich wird, weil der vom Gefühl ausgerichtete Wille alles in eine höhere Richtung weist. Der schöpferische Rausch ist solch ein Gefühl, und noch mehr ist es die Liebe.
Vor allem die frische, blühende Liebe eines Hals über Kopf Verliebten überschreibt das reine Denken; aber auch die unbeirrte, treue Liebe eines in der Liebe gefestigten Paares in ihrer lang gewachsenen Vertrautheit und Geborgenheit, liegt jenseits des mit dem Denken glänzlich fassbaren. Diese Erfahrungen sind zweifelsohne das Schönste, was das menschliche Leben zu bieten hat, denn sie transzendieren dieses, sie gehen über das Denken und gewöhnliche Fühlen hinaus, reichen in etwas Numinoses, Metaphysisches hinein, das von keinem menschlichen Begriff und Gedanken fassbar ist. Um uns zu verlieben, müssen wir daher im ersten Schritt vom Denken loslassen.
Auf einem von einem klaren Denken und daher aus vernünftigen Handlungen und Tugenden gefestigten Grund, wachsen jedoch solche stolzen Blumen wie die Liebe und das Schöpferische langfristig doch am festesten und schönsten. Das Denken ist es, welches uns neben den Fühlen den Weg weist, sich um die zerbrechliche Pflanze der Liebe richtig zu kümmern, auch wenn die Saat gelegt wurde von einer gedankenlosen Leidenschaft. So kann das Denken sie uns erhalten, während ein Nicht-Denken dazu führen kann, dass wir unabsichtlich diese schönste aller metaphysischen Blumen tottrampeln.
Um zu lieben, müssen wir oft vom Denken loslassen, doch um die Liebe zu erhalten, müssen wir auch uns das Denken erhalten. Zu Lieben bedeutet schließlich auch ein unendliches Vertrauen – sowohl in den Partner, als auch in den Leitstern der Liebe und den Erhalt des Denkens. Letztendlich ist die Liebe insbesondere ein Vertrauen darin, dass das Herz weiß, was es tut, dass es die richtige Entscheidung getroffen hat und ein Vertrauen in den Partner, das er der ist für den wir ihn halten.
Hier sei angemerkt: Über die Liebe muss ich in Zukunft noch mehr denken und dann schreiben. Das Denken ist es zwar, das uns den Weg weist zu einer besseren Welt und zu einem besseren Menschsein; aber die Liebe weist auf etwas, was über den Menschen hinausgeht und das wir wie das Denken in Gefahr laufen zu verlernen und es damit auch noch immer weder ausreichend begreifen noch ausreichend tun, obwohl wir es dringend nötig hätten. Vielleicht weist die Liebe schließlich auf das, was ursprünglich der Begriff „Gott“ bezeichnete, bevor die Menschen die Religionen erfanden und ihn für ihre Politik und Moral einbanden. Dies soll jedoch Thema für zukünftige Abhandlungen sein und uns an dieser Stelle nicht weiter vom Denken über das Denken abhalten.
Denken als Pfeil zu einer besseren Welt
Angesichts all der Widrigkeiten, angesichts all des Schmerzes und der Einsamkeit, die das Denken als Leidenschaft und Tätigkeit mit sich bringt – lohnt es sich überhaupt zu denken?
Es ist zweifelsohne weniger schmerzhaft gedankenlos durch den Tag zu gehen, von der Wiege bis zum Grab sich treiben zu lassen und ohne die Qual und die Anstrengung des Denkens wieder zu verschwinden. Aber ein Leben, das nicht durchdacht wurde, das nicht von strahlenden Gedanken erhellt wird, ist sicherlich weder ein angenehmes noch ein wirklich lebenswertes, sondern ein wüstes und leeres, voller vermeidbaren Leid und dummen Tragödien.
Eine bessere Welt – eine Welt mit mehr Vertrauen, mit mehr atemberaubender Ästhetik, mit mehr erhabener Größe und vor allem mit mehr Liebe – ist möglich. Aber sie ist nicht durch bloßes Handeln erreichbar. Sie ist nicht durch wütendes Rütteln an den Gitterstäben unserer Existenz erreichbar, nicht durch rastloses Umherirren. Und am wenigsten ist sie durch hedonistische Zerstreuung und Betäubung oder durch die Zerstörungskraft des Ressentiments erreichbar. Genauso wenig ist eine bessere Welt allein durch die Wissenschaft erreichbar, durch das generieren von Daten und Verständnis. Mag die Wissenschaft durch die Wunder der Technologie uns die Macht geben die Welt und uns selbst umzugestalten, Berge niederzureißen, unsere Körper und ihren Gencode zu optimieren, das Leben gänzlich auszulöschen oder im gesamten Universum zu verbreiten. Die Wissenschaft kann uns nicht sagen, ob und wie wir mit der Macht umgehen soll; ob und wie wir mit uns Selbst und unseren Menschen umgehen sollen; und am wenigsten, was das allles bedeutet, und wie konkret und realistisch damit eine bessere Welt zu erreichen ist.
Das kann uns nur das Denken geben; echtes tiefes Denken, welches schließlich aus der Reflexion sich herausreflektiert und in einen entschlossenen, zielgerichtete Willen umsetzt, der sodann in einem entschlossenen Handeln und Walten mündet. Bevor wir die Welt verändern, müssen wir erst unseren Willen klären und auf eine gerade Linie bringen, und dafür müssen wir zuerst unser Denken klären und auf eine gerade Linie bringen. Vernunft und damit vernünftiges Handeln sind möglich und die Ausgangsbasis für eine bessere Welt für die Menschheit, aber dafür muss das Denken, auf denen es fußt vernünftig sein – also ungetrübt vom digitalen Smog, von ideologischer und politischer Verführung. Und so dann die Vernunft ihre Bahn gefunden hat, so muss das Handeln entschlossen folgen.
Ein klares und starkes Denken, ein zielgerichteter und starker Wille, ein entschlossenes und starkes Handeln – das ist die Linie, der Pfeil, der in die Zukunft weist. Den Bogen nun zu spannen, zu denken, zu zielen, zu wollen, zu handeln, und für die Zukunft den Pfeil abzufeuern – das ist die große Aufgabe der Menschheit aus der alle weiteren folgen. Sie fällt jenen Weltverbesserern zu, die sich ihr gewachsen sehen und bereit sind mit dem ersten Schritt zu beginnen: dem Denken.
Wege nach Utopia
Dieser Essay soll der erste aus einer längeren Reihe an Essays darstellen, die einen Weg in Richtung einer besseren Welt weisen wollen. Das von Thomas Morus geprägte Wort Utopia bedeutet nicht ohne Grund im Griechischen οὐτοπία utopía „Nicht-Örtlichkeit“ bzw. „Nirgendwo“ im Lateinischen utópia. Eine Utopie, eine perfekte Welt, ein Paradies auf Erden ist aus meiner Sicht nicht endgültig erreichbar – und es ist es auch nicht unbedingt wünschenswert in einer endgültigen Utopie zu leben – wie ich bereits in meiner 2017er Novelle Das Erwachen des letzten Menschen herausarbeitete – und das verührerische Versprechen von Utopien ist gefährlich, wie die Geschichte erschreckend gezeigt hat. Aber es ist auch mehr als offensichtlich für jeden, der offenen Auges durch unsere Welt schreitet, dass wir doch sehr vieles, unendlich viel besser gestalten, klüger angehen, effizienter machen, mit mehr Liebe füllen könnten, sowohl als Menschheit weltweit, als auch insbesondere hier in Europa. Die meisten meiner Essays und Romane sind vor allem große Kritiken der Mißstände und Probleme unserer Zeit – und solche braucht es, denn es ist so einiges kritikwürdig, und so manche Götze muss noch erschlagen werden. Aber nur zu zerstören, niederzureißen und zu kritiseren, macht die Welt nicht besser, sondern oft nur noch schlechter, wenn keine neuen Wege, neuen Ideale und Ziele zugleich als Ersatz für die zerstörten geschaffen werden. Um diese neuen Wege, Ideale und Ziele, einen konstruktiven Pfad zur Verbesserung des eigenen Lebens und der Welt, darum soll es in dieser Essayreihe gehen. Ausgehend natürlich von dem Fundament jeder erfolgreichen Verbesserung: dem Denken.
Es gibt wenig, was bemitleidenswerter und lächerlicher ist, als jene reinen Kritiker, die ihre ganzen Leben damit verbringen über die Probleme der Welt und die Mängel anderer Menschen zu lamentieren, ohne an ihnen etwas zu änderen oder selbst etwas erschaffen. Ironischerweise, lamentieren die gleichen Kritiker dann auch noch lauter darüber, wenn jemand wie Elon Musk, John Mackey oder Peter Thiel diese Probleme löst und daran gut verdient. So ziemlich das Gegenteil von solch einer rein jammernden und destruktiven Kritikerkreatur will ich sein.
Nachtrag
Man hat mich darauf hingewiesen, dass ich in vielerlei Hinsicht genau das Gegenteil von dem vertrete, was Heidegger vertrat und auch eine andere Konzeption des Denkens hier skizziere als er. Das stimmt. Eine gekürzte Fassung von Heideggers Vorlesung „Was heißt denken?“ dient für mich als Inspiration meine eigenen, seit längerer Zeit umwälzten Gedanken zu diesem Thema in diesem Essay niederzuschreiben und auszubreiten. Deswegen zitiere ich ihn auch an zwei Stellen, wo ich mich von ihn inspiriert fühlte, aber ansonsten ist dies ein Essay mit eigenen Ideen und Konzepten.
Lektüre:
Heidegger, Martin (2017): Was heißt Denken? Vorlesung Wintersemester 1951/52. [Veränderte Ausgabe]. Stuttgart: Reclam (Was bedeutet das alles?, Nr. 19283).
Neumann, Dana (2019): Mondlandung: Dein Handy könnte die Mission ganz allein steuern. In: futurezone.de, 19.07.2019. Online verfügbar unter https://www.futurezone.de/science/article226520435/Nur-per-Handy-koenntest-du-heute-die-komplette-Mondlandung-steuern.html, zuletzt geprüft am 31.03.2021
Shapiro, Daniel (2019): Can Artificial Intelligence “Think”? In: Forbes, 24.10.2019. Online verfügbar unter https://www.forbes.com/sites/danielshapiro1/2019/10/23/can-artificial-intelligence-think/?sh=726281cb2d7c, zuletzt geprüft am 01.04.2021
Skrobisz, Nikodem (2021): Nietzsches Genealogie der Moral: Von Herren und Sklaven. In: Nikodem Skrobisz, 17.03.2021. Online verfügbar unter https://leveret-pale.de/nietzsches-genealogie-der-moral-von-herren-und-sklaven, zuletzt geprüft am 01.04.2021
Skrobisz, Nikodem (2021): Die globale Bullshit-Krise. In: Nikodem Skrobisz, 08.02.2021. Online verfügbar unter https://leveret-pale.de/die-globale-bullshit-krise, zuletzt geprüft am 01.04.2021.
Kahneman, Daniel (2017): Schnelles Denken, langsames Denken. 1. Auflage. München: Penguin Verlag.
Wenn dir dieser Artikel weitergeholfen oder dich unterhalten hat, dann würde es mich freuen, wenn du mir einen Kaffee spendieren würdest, mit dem ich noch mehr solcher Artikel schreiben kann.
Kaffee spendieren via Ko-Fi