27. Juli 2024
ArtikelEssay

Warum Nationalisten wie Trump und Farage keine Patrioten sind

Seit einigen Jahren schon schwappt eine Welle an rechtspopulistischen, nationalistischen Bewegungen über den Globus. In ihrer Rhetorik konstruieren ihre Anhänger dabei besonders gern eine Dichotomie zwischen Nationalismus und Patriotismus auf der einen Seite und Globalismus auf der anderen Seite. Insbesondere der Brexit-Führer Nigel Farage und US-Präsident Donald Trump bedienen prominent in ihren Reden das Narrativ eines „patriotischen“ Kampfes um die nationale Souveränität gegen „the globalists“ und inszenieren sich als Verteidiger der Freiheit. Daran ist nicht nur zweifelhaft, ob nationalistische Isolierung wirklich als ein Mehrgewinn an Freiheit interpretiert werden kann, sondern auch, ob das, was diese ”patriotischen“ Bewegungen vorhaben, wirklich als patriotisch zu bezeichnen ist und nicht nur einfach regressiver Nationalismus. Zwischen Patriotismus und Nationalismus – insbesondere im Kontext einer globalisierten Welt – besteht nämlich ein nicht unerheblicher Unterschied. Doch um ihn zu verstehen, brauchen wir erstmal einen kleinen Exkurs in die abendländische Geschichte, von der diejenigen, die sie am lautesten mit Parolen zu verteidigen behaupten, oft relativ wenig verstehen.

Die guten Wurzeln des Nationalismus
Fangen wir mit dem Nationalismus an. Der Begriff Nationalismus hat heutzutage einen negativen Beigeschmack und wird häufig mit Chauvinismus und reaktionärer Aggression assoziiert. Allerdings gibt es mehr als nur eine Form von Nationalismus und die negative Konnotation, die der Begriff heute hat, liegt vor allem an der Form, die im Laufe der Zeit entstand, und weniger an dem, was er ursprünglich war. Der Nationalismus entstand, zusammen mit dem Liberalismus im 18. Jahrhundert als Gegenentwurf des aufgeklärten Bürgertums zu Feudalismus und Absolutismus. Das Ziel dieser nationalistischen, oft revolutionären Bewegungen war es, Kulturen, Administrationen, Sprache und Handelszonen in Nationalökonomien zu vereinigen und die Freiheit und Würde der Menschen durch die Schaffung von demokratisch verfassten Nationalstaaten herzustellen.  Es waren insbesondere diese Bewegungen, die nach den napoleonischen Kriegen in Europa bürgerliche Freiheiten wie die Presse- und Versammlungsfreiheit errangen und durch ihre Emanzipation letztendlich zur Überwindung der Ständeordnung des Mittelalters führten. Damit war der Nationalismus ein Elitenprojekt, ähnlich wie der europäische Supranationalismus unserer Zeit. Viele moderne Nationalstaaten wie Frankreich, Großbritannien und Japan waren zuerst politisch geeint, bevor durch Maßnahmen der Regierungen wie Vereinheitlichung von Sprachen und Kulturen, Wehrdienste, Propaganda und Gründungsmythen ein nationalistisches Narrativ und Gemeinschaftsgefühl produziert wurden und der Nationalismus sich im Laufe des 19. Jahrhunderts zu einer erfolgreichen Massenideologie wandelte.

Fast alle Gesellschaften auf der Welt sind heute in Nationalstaaten organisiert und berufen ihre Legitimität nach der nationalistischen Logik auf einem durch eine gemeinsame Sprache, Kultur und Vergangenheit definierten Volk. Das macht den Nationalismus zu einer global hegemonialen Ideologie. Das hat auch seinen berechtigten Grund. Der Nationalismus vereinigt Millionen sich eigentlich fremder Menschen, die sich nicht kennen, zu einer – wie es der Politologe Benedict Anderson nennt – „imaginären Gemeinschaft“, die in der Lage ist, sich durch die gemeinsame Identifikation zu solidarisieren und für die Erreichung allgemeiner Ziele zu kooperieren, sowie sich allgemein gültigen Gesetzen zu unterwerfen, die die Basis für eine moderne Gesellschaft darstellen. Viele linke und liberale Utopisten glauben, dass eine Welt ohne Nationalismus eine bessere und friedlichere wäre. Wahrscheinlicher ist aber, dass ohne den ursprünglichen Nationalismus die Menschheit in abertausende, sich bekriegende Stämme und Fürstentümer zersplittert wäre und niemals den technologischen Fortschritt der Industrialisierung, geschweige denn Digitalisierung, hätte erreichen können. Länder, in denen es keine gemeinsame nationale Identität gibt, da sie zum Beispiel wie der Kongo aus einer willkürlichen kolonialen Grenzziehung entstanden, gehören nicht zufällig zu den am meisten von Bürgerkriegen, Korruption und sozialen Unruhen geplagten Regionen der Welt. Ohne die imaginäre nationale Gemeinschaft ist es schwierig, eine Identifikation mit und damit eine Loyalität der Bürger gegenüber dem Rechtsstaat, noch eine Loyalität der Herrschenden gegenüber den Bürgern herzustellen. Daher gab und gibt es in prä-nationalistischen Diktaturen und Monarchien in der Regel keine Treue und kein Vertrauen, sondern nur Gehorsam und Überwachung, und dort wo sie fehlen Korruption.

 

Nationalismus und Globalisierung
Der Nationalismus ist also das ideologische Werkzeug, mit dem seit der Moderne die Identifikation und Solidarisierung der Bürger mit und die Organisation von großen, komplexen Gesellschaften und Staaten ermöglicht wird. Ohne den Nationalismus gebe es daher auch keine Globalisierung. Denn erst der moderne, auf den Ideen des Nationalismus aufbauende Nationalstaat mit seinem Machtmonopol, seinem Rechtsstaat und seinen klaren Grenzen, schafft die Voraussetzungen an Vertrauen, Sicherheit, Infrastruktur und Arbeitsteilung, mit denen internationaler und globaler Personen- und Güterverkehr überhaupt in größerem Maße möglich ist. Doch warum entstand der Nationalismus? Nun, durch den Beginn der Globalisierung.

Denn erst durch die zunehmende kommunikative Vernetzung und den Austausch von Ideen, Gütern und Kulturen im Zuge des 18. und 19. Jahrhunderts, konnten unterschiedliche Feudalstaaten und Kulturen zu Nationen zusammenschmelzen und aufklärerische Ideen von Demokratie, Volk und Freiheit sich verbreiten. Der Nationalismus ist damit kein Gegensatz zur Globalisierung, sondern er entstand im Wechselspiel mit ihr und ist von ihr so abhängig wie sie von ihm. Ohne die Globalisierung und die für die Wirtschaft so essentielle internationale Arbeitsteilung ist kaum ein moderner Nationalstaat denkbar – und auch andersrum ist ohne die ordnungspolitischen Rahmenbedingungen, die von den Nationalstaaten ausgehandelt werden, die Globalisierung kaum denkbar. Es ist daher falsch anzunehmen, es gebe einen inhärenten Widerspruch zwischen dem Nationalstaat und der Globalisierung. Nicht nur entstammen sie der gleichen Quelle – es besteht heutzutage auch eine derart große Interdependenz zwischen den Nationen, dass sie allein gar nicht existieren könnten. Es ist im Interesse jeder Nation, für ihr eigenes Wohl auch auf das Wohl der anderen zu blicken. Wer gegen die Globalisierung hetzt, weil er Angst hat, dass seine Nation sich in einem globalen Amalgam auflöst, der täuscht sich nicht nur, er verkennt auch, dass jede Nation selbst nichts als ein Amalgam ist. Der ursprüngliche Zweck des Nationalismus, die Menschen zu befreien und zusammenzubringen, wird durch diese Angst aufgelöst und der Nationalismus wird zu einer Ideologie, die die Menschen spaltet und ihrer Freiheit beraubt. Doch woher kommt diese Angst und warum hängen Nationalisten an der vermeintlichen „Greatness“ ihrer Nation wie ein Kleinkind, das sich nicht von seiner Nuckelflasche lösen will? Diese Angst hat ihre Wurzeln in den Formen und dunklen Seiten des Nationalismus, die sich herausbildeten als er im ausgehenden 19. Jahrhundert in der entstehenden Massengesellschaft – wie der liberale Philosoph Ortega y Gasset ausführlich in seinem Buch „Aufstand der Massen“ beschreibt – durch die Fusionierung mit der kollektivistischen, anti-intellektuellen Denkhaltung des Massenmenschen und die Instrumentalisierung von Politikern seine Verbindung zum Liberalismus kappte und zu einer spalterischen Ideologie des Stolzes und der Macht wurde.

 

Die Schattenseiten nationalistischen Denkens
So nützlich der Nationalismus als Ideologie war, um Menschen aus einem Sprach- und Kulturraum zusammenzubringen und Kooperation zu ermöglichen, so gefährlich kann er in einer anderen Form auch sein und genau das Gegenteil bewirken. Bereits Friedrich Nietzsche merkte an: „Beim Nationalismus handelt es sich um die schlechte Ausdünstung von Leuten, die nichts anderes als ihre Herden-Eigenschaften haben, um darauf stolz zu sein“. Damit meinte er nicht mehr den Nationalismus der Aufklärung, sondern das nationalistische Denken, das ihm folgte. Durch Mythenbildung, Propaganda, aber auch durch die Ressentiments der abgehängten Schichten, mutierte der Nationalismus zu einer Ideologie, bei der sich die Menschen übermäßig mit der Besonderheit ihrer eigenen Nation identifizieren und an sie glauben. Es wird sozusagen vergessen, dass die Nation eine imaginäre Gemeinschaft von unzähligen Individuuen und damit ein Konstrukt ist, und als eigene, große Entität wahrgenommen, deren Teil man ist. In der Folge wird der Wert der „großen“ Nation über den des Individuums gestellt und die Menschheit in die eigene Nation und die Anderen gespalten, was wiederum Chauvinismus und Intoleranz hervorbringt und dazu führt, dass alles, was die eigene „Nation“ zur Steigerung des eigenen Ruhmes tut, als gerechtfertigt betrachtet wird. Wie George Orwell in seinem sehr lesenswerten Essay „Über Nationalismus“ konstatiert: „Nationalismus ist Machthunger gedämpft durch Selbsttäuschung. Jeder Nationalist ist zur eklatantesten Schandtat imstande, aber ist sich auch – im Bewusstsein einer Sache zu dienen, die größer ist als er selbst – unerschütterlich sicher, im Recht zu sein.“ Diese Art des stolzen und kollektivistischen Nationalismus – die heute ihre Renaissance im von der digitalen Vernetzung ausgelösten zweiten Massenzeitalter erlebt – führte letztendlich zum Ersten Weltkrieg und dann zum Aufstieg von Nationalsozialismus und Faschismus und dem Zweiten Weltkrieg. Die Lehren daraus für die Welt sollten eigentlich sein, dass dieser Pfad des nationalistischen Denkens lediglich für die Egos von populistischen Politikern und Nationalisten förderlich, aber für die Völker und die ganze Welt höchst gefährlich und daher abzulehnen ist. Dennoch gibt es heute wieder Politiker und Bewegungen, die diese Form des Nationalismus zu instrumentalisieren und wiederzubeleben versuchen, ungeachtet der Lehren der Geschichte und der negativen Konsequenzen für das eigene Volk.

 

Der Unterschied zwischen Patriotismus und Nationalismus

Der elementare Nationalismus, der den demokratischen, liberalen Nationalstaat schafft und aufrechterhält, ist also eine essentielle Institution zur Aufrechterhaltung von Rechtsstaat und Freiheit, besonders in Zeiten der zunehmenden Globalisierung. Doch der anti-liberale Massen-Nationalismus und das nationalistische Denken sind gefährlich. Als Lösung für dieses Dilemma und diesen inhärenten Widerspruch, dass ein gewisser Grad an Nationalismus notwendig, aber ein zuviel gefährlich ist, hat sich in der europäischen Denktradition eine Differenzierung zwischen Patriotismus und Nationalismus herausgebildet.  Bereits Immanuel Kant schrieb in seinen „Reflexionen zur Anthropologie“, dass um der Vernunft willen der „[…] Nationalwahn auszurotten [sei], und an dessen Stelle patriotism und cosmopolitism treten“ müssen. Das Ideal des Patriotismus ist es, die positiven Aspekte des Nationalismus, wie den demokratischen Nationalstaat und das solidarische Gemeinschaftsgefühl, von seiner chauvinistischen dunklen Seite zu trennen. Orwell definiert daher den Patriotismus in seinem Essay in Abgrenzung zum Nationalismus: „Mit Patriotismus meine ich die Verbundenheit mit einem bestimmten Ort und einer bestimmten Lebensweise, die man für die beste auf der Welt hält, aber anderen Menschen nicht aufzwingen möchte. Patriotismus ist von Natur aus defensiv, militärisch wie kulturell. Der Nationalismus hingegen ist untrennbar mit dem Streben nach Macht verbunden. Das dauerhafte Ziel jedes Nationalisten besteht darin, immer mehr Macht und immer mehr Prestige anzuhäufen, nicht für sich selbst, sondern für die Nation […], der er seine Individualität geopfert hat.“ Ähnlich wie Kant und Orwell, definierten auch andere große Denker des Westens wie Albert Camus und Jürgen Habermas den Patriotismus. Im Sinne dieser in der westlichen Denktradition verankerten Definitionen ist es ersichtlich, dass Rechtspopulisten wie Donald Trump und Nigel Farage keine Patrioten sind, die das Abendland verteidigen, wie sie es behaupten. Sie sind viel mehr reaktionäre und geschichtsignorante Nationalisten, die zur Steigerung ihrer eigenen Macht eben jenes Abendland spalten und verraten.
Insbesondere der Brexit ist ein Paradebeispiel dafür, wie ökonomischer Wohlstand und die Bewegungsfreiheit der eigenen Bürger – also zum Schaden der eigenen Heimat und damit ganz unpatriotisch- in Kauf genommen werden, um eine nationalistische Vision zu verwirklichen.

Man könnte auch sagen: Sowohl der Nationalist, als auch der Patriot lieben ihre Heimat – während es aber beim Patrioten eine gesunde, nüchterne Beziehung ist, ist es beim Nationalisten eine toxische Obsession und realitätsfremde Überhöhung, die zur (Selbst)Zerstörung führt.

Während Nationalismus langfristig nicht vereinbar ist mit einer globalen und freien Welt- und Gesellschaftsordnung, ist der Patriotismus nicht nur damit vereinbar, sondern sogar essentiell für ihr Funktionieren und das Wohlergehen der Menschen wie wir zuvor gesehen haben. Deswegen sollten wir den Begriff Patriotismus nicht der Rhetorik von Populisten überlassen, die ihn nur als Euphemismus für ihren chauvinistischen Nationalismus nutzen, sondern ihn von diesen Agitatoren zurückerobern.

 


Diesen Artikel schrieb ich Mitte Februar für die kommende Ausgabe von PLL, weshalb noch keine Referenzen zu Corona enthalten sind.


Bild von Ralf Genge auf Pixabay


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Nikodem

Nikodem Skrobisz, auch unter seinem Pseudonym Leveret Pale bekannt, wurde am 26.02.1999 in München geboren. Er ist als nebenbei als Schriftsteller tätig und hat bereits mehrere Romane und Kurzgeschichten publiziert, die meist philosophische und gesellschaftliche Themen behandeln. Er studierte Kommunikationswissenschaften, Psychologie, Philosophie sowie Sprachen und Literatur. Aktuell studiert er im Master Philosophie. Halbprivate Einblicke gibt es auf Instagram

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