27. Juli 2024
Interview

Von Autorenstammtischen und einem guten Lektorat – Die Autorin Yvonne Powell im Interview

Schreiben ist vor allem eine einsame Reise, bei der man zahllose Tage und Nächte allein mit der Tastatur, etwas zu viel Kaffee und einem wilden Kopfkino verbringt. Doch wie bei jeder Reise, gibt es Hindernisse, die man nicht allein überwinden und Ziele, die man nicht allein erreichen kann. Und in der Gemeinschaft hat man dann auch mehr Spaß und kann schneller Motivation tanken. Daher besuche ich sehr gern Buchmessen und Autorenstammtische, darunter insbesondere den Münchener Autorenstammtisch von Yvonne Powell. Dort habe ich nicht nur Helen und Sarah vom Verlag Hummel&Sahne und Sabrina Wolv kennengelernt, sondern auch zahlreiche Freundschaften mit Schreibenden aus München geschlossen. Die Leiterin des Stammtisches Yvonne Powell ist dabei selbst Autorin und hilft als Lektorin anderen Schreibenden aus ihren Manuskripten das Beste herauszuholen. Wie sie das genau macht, habe ich mal genauer nachgefragt.

 

Hallo Yvonne, vielen Dank, dass du dir Zeit für das Interview nimmst. Kommen wir gleich zu deinem Beruf:  Was macht man als Lektorin konkret und wie unterscheidet sich ein Lektorat von einem reinen Korrektorat? Welche Arten von Texten lektorierst du?

Hallo Nikodem, danke dass ich Dir Rede und Antwort stehen darf!
Zuerst muss ich dazu sagen, dass ich als freie Lektorin tätig bin, nicht als Verlagslektorin, so dass ich mich wirklich nur auf die Bearbeitung von Manuskripten konzentriere. Mein Ziel ist es, das Beste aus einem Text zu machen und herauszuholen. Ich lese das Manuskript und versuche es in Bezug auf Inhalt und Stil zu optimieren. Je nachdem, was der Autor von mir möchte, geht das von einem simplen Korrektorat über ein stilistisches Lektorat zur Verbesserung der Ausdrucksform, über ein inhaltliches Lektorat, wo auch Plot, Spannungsbogen und Figuren unter die Lupe genommen werden, bis hin zum Entwicklungslektorat, wo ich dem Autor / der Autorin helfe, wenn er / sie mit der Geschichte hängt, nicht weiter weiß und neue Ideen und eine neue Perspektive braucht. Es ist ja wohl bekannt, dass man als Autor irgendwann betriebsblind wird und den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sieht. Da kann ein frischer Blick auf den Text sehr hilfreich sein.
Lektorat und Korrektorat sind zwei grundverschiedene Dinge, die idealerweise auch von zwei verschiedenen Personen gemacht werden sollte. (Auch Lektoren werden irgendwann betriebsblind). Das reine Korrektorat konzentriert sich ausschließlich darauf, Rechtschreib- Grammatik- und Zeichensetzungsfehler zu berichtigen. Am Text selber wird nicht mehr gearbeitet. Sobald ich mich auch mit Stil und Inhalt beschäftige, bin ich schon im Lektorat. Es ist fast unmöglich, Lektorat und Korrektorat in einem Durchgang zu erledigen. Sobald man sich auf die richtige Anordnung von Kommas und Anführungsstrichen konzentriert, kann ich nicht mehr darauf achten, ob die Geschichte in sich stimmig ist. Und umgekehrt, wenn ich mich in die Tiefen der Geschichte befinde, werde ich keine Rechtschreibfehler sehen. Ich erledige, wenn ich denn muss, die beiden Arbeitsschritte immer getrennt voneinander und gebe mir, wenn es möglich ist, auch ein bisschen Zeit dazwischen, damit ich einen möglichst ungetrübten Blick habe.

Ich lektoriere hauptsächlich Romane und Kurzgeschichten, hier habe ich von Horror über Historisches hin zu zeitgenössischer Literatur schon alles Mögliche bearbeitet. Das mache ich am liebsten. Seit neuestem haben mich aber auch die Studenten gefunden und ich lektoriere immer wieder mal Doktor-, Master-, Bachelor-  sowie Hausarbeiten für einzelne Seminare. Genauso hatte ich schon Webseiten oder Businesspläne zum Korrekturlesen auf dem Schreitisch.

 

Lektorin bzw. Lektor ist keine geschützte Berufsbezeichnung, weshalb jeder sich selbst so bezeichnen kann. Was macht eine gute Lektorin oder einen guten Lektor aus und woran erkennt man ihn oder sie? Welche Qualifikationen hast du selbst dafür erworben?

Für mich ist das oberste Zeichen von Qualität, dass man sich als LektorIn in einen Text hineindenkt und ihn von innen heraus bearbeitet, ohne ihm seine persönlichen Vorlieben und Eigenheiten überzustülpen. Man selbst muss unsichtbar bleiben und mit dem was der Autor / die Autorin schreibt, spielen, es verbessern, ohne die Einzigartigkeit des jeweiligen Textes zu verletzen. Es ist relativ einfach als LektorIn übergriffig zu werden und den Text in die eigene Richtung zu lenken zu wollen.
Bei der Wahl des Lektors / der Lektorin ist es extrem wichtig, dass die Chemie und die Arbeitsweise stimmt. Es ist fast unmöglich mit jemandem vernünftig zusammenzuarbeiten, ohne ein gutes Vertrauensverhältnis aufzubauen. Die Texte sind ja für die meisten AutorInnen wie ihre geliebten Babys. Wenn man da als Lektor anfängt darin herumzuwüten (auch wenn es vielleicht wirklich notwendig wäre), kann das sehr schnell schief gehen.
Ich persönlich mache grundsätzlich ein Probelektorat von einigen Seiten und möchte auch das Exposé sehen, bevor ich mich entscheide, ob ich den Auftrag annehme oder nicht. Das ist für beide Seiten sehr wichtig, denn ich muss wissen, ob ich mit dem Text klarkomme, und der Autor / die Autorin muss wissen, ob er/sie mit meiner Art zu lektorieren klarkommt. Das funktioniert nicht immer. Man sollte als Lektor definitiv genug Courage haben, einen Auftrag abzulehnen, wenn man das Gefühl hat, mit dem Text Schwierigkeiten zu haben. Es gibt ja genug Kollegen, die mit dem Text vielleicht viel besser zurechtkommen.

Was hat dich dazu bewegt diesen Beruf aufzunehmen? Hast du abgesehen davon noch einen Brotberuf oder kann man als Lektorin im Gegensatz zu den meisten Autorinnen von der Literatur leben?

Ich bin in diesen Beruf irgendwie hineingeschlittert. Ich habe nach meinem Studium die „Große Schule des Schreibens“ absolviert, ein Fernkurs, wo man sich das Schreibhandwerk aneignen kann. Im Zuge dessen haben sich viele Kontakte mit anderen Kursteilnehmern ergeben. Hier in München hat sich daraus ein ganzer Autorenstammtisch gebildet. Wir haben uns monatlich getroffen, uns Themen gegeben und Kurzgeschichten geschrieben. Die wurden dann vorgelesen und von den anderen kommentiert. Wir haben uns sehr viel gegenseitig geholfen, unsere Geschichten zu verbessern. Am Ende kam dabei eine sehr schöne Anthologie heraus. Da habe ich gemerkt, dass ich ein sehr scharfes Auge habe, was das Finden von Fehlern und Ungereimtheiten angeht. Und ich hatte enormen Spaß daran, die Geschichten der anderen so gut wie möglich zu machen. Ich war damals als „Füllwörter-Terminator“ verschrien. Aber die Texte waren dann besser.
Etwa zeitgleich habe ich „Fiction Writing“ entdeckt, ein Forum im Internet, wo es jeden Monat ein Thema gibt und man eine Geschichte dazu einstellen kann. Die eigene Geschichte wird von den anderen zerpflückt und man selbst nimmt sich die restlichen Geschichten vor. Hier habe ich gelernt, dieses vage Bauchgefühl von „mit dieser Geschichte stimmt irgendwas nicht“ in eine klare Ansage zu verwandeln, was denn nun ganz genau nicht stimmt. Das ist oft gar nicht so einfach zu benennen. Wenn man das aber viel tut, schärft man sein Auge auch für die eigenen Fehler und Schwächen.

Ich habe einen Brotberuf, ich bin Fachassistentin für Lohn und Gehalt und arbeite in einer Steuerkanzlei. Noch habe ich mich nicht getraut, meinen Job an den Nagel zu hängen und darauf zu hoffen, dass so viele Aufträge auf mich zukommen, dass ich den Brotberuf einfach ersetzen kann. Bezahlter Urlaub, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und jeden Monat ganz bestimmt genug Geld auf dem Konto sind ja auch nicht ganz unpraktisch. Ich kenne aber einige LektorInnen, die den Sprung gewagt haben und gut damit zurechtkommen, vor allem, wenn sie schon Kontakte zu Verlagen hatten, die sie regelmäßig mit Aufträgen versorgen.

 

Sollte man als Lektorin Perfektionistin sein oder ist das sogar im Gegenteil abträglich?

Wie so oft im Leben ist die gute Mischung der beste Weg. Wenn ich korrekturlese, dann muss ich perfektionistisch sein. Jeder Zeichensetzungsfehler – und sei er noch so blöd und unbedeutend – MUSS mich einfach stören. Sonst würde ich die Fehler ja nicht finden. Ganz ehrlich, ich finde nichts schlimmer als ein im Grunde gutes Buch, das vor dummen Zeichensetzungsfehlern nur so strotzt. Muss ja nicht sein.

Es ist aber genauso wichtig im Zuge eines Lektorats auch mal „passt schon“ sagen zu können, wenn ein Autor von einer Formulierung gar nicht abrücken will. Für mich gibt es die eine perfekte Formulierung oft gar nicht. Es hängt so viel vom Zusammenhang ab. Oder vom Text. Man kann es so oder anders machen und es bleibt trotzdem schön.

Wie sieht eigentlich dein Arbeitsplatz aus? Die meisten Lektorinnen und Lektoren arbeiten ja als selbstständige Freiberufler und damit quasi im Home Office. Wie bekommt man die Trennung zwischen Arbeits- und Freizeit hin?

Ich arbeite auch im Home Office bzw. ich trage mein Laptop viel herum und sitze in Cafés oder Büchereien. Meine Kinder sind noch nicht groß genug, um auf Mama-Taxi verzichten zu können, so dass ich doch immer wieder Wartezeiten zu überbrücken habe. Die nutze ich sehr gerne zum Lektorieren oder Schreiben. Geht sogar viel besser als daheim, wo einen der ungetane Haushalt immer so perfide ablenkt.
Tja, wie man die Trennung zwischen Arbeits- und Freizeit hinbekommt, das darfst Du mich nicht fragen. Ich kriege es jedenfalls nicht besonders gut hin. Es verwischt alles. Was ist Lektorat für mich? Fällt schon fast in die Sparte Freizeit, auch wenn es Arbeit ist. Ich mache es in meiner Brotberuf- und Familienfreien Zeit.

 

Du bist selber auch als Autorin tätig. Was schreibst du und wie beeinflussen deine Erfahrungen als Lektorin dein eigenes Schreiben?

Ich schreibe momentan hauptsächlich Kurzgeschichten (da stellt sich das Erfolgserlebnis schneller ein), aber ich plane im Kopf schon an meinem zweiten Roman herum. Ich schreibe am liebsten ernste Gegenwartsliteratur, nehme mir da gerne irgendwelche psychologischen Themen vor wie Trauer und Verlust oder Extremsituationen oder sowas und mache dann daraus eine Geschichte. Meine zweite große Liebe gilt der Musik, ich spiele leidenschaftlich gerne Geige, und so kommt es, dass viele meiner Geschichten eine musikalische Dimension haben. Diese beiden Kunstformen nähren sich in mir voneinander. Schreiben ohne Musik geht irgendwie gar nicht, die tollsten Ideen kommen mir immer beim Orchesterspielen. Musik ohne Schreiben geht da schon besser, aber irgendwann fehlt es mir dann so, dass ich mich wieder hinter die Tasten klemmen muss.

Meine Erfahrung als Lektorin hat mein Schreiben durchaus beeinflusst. Ich in sehr viel genauer geworden, was Plot, Spannungsbogen und Figuren betrifft und einen vor Fehlern strotzenden Text werde ich niemals irgendwo abgeben. Man lernt sehr viel aus der Bearbeitung von Texten anderer Leute. Diese Fehler kann man ja dann selbst vermeiden.

Du leitest einen der Münchener Autorenstammtische. Wie kam es dazu und was macht für dich den Reiz solcher Treffen aus? (Und da ich gerade dabei bin mit einigen Kollegen einen eigenen Autorenstammtisch in Jena zu gründen: Hast du ein paar Tipps für uns?)

Wie oben schon erwähnt hatte ich ja früher diesen Stammtisch mit vielen der Münchner TeilnehmerInnen der Großen Schule des Schreibens. Als ich wegen Schwangerschaft ausgestiegen bin, ist der Stammtisch leider im Sande verlaufen. Mir hat der Austausch mit Gleichgesinnten so gefehlt, dass ich wieder einen Stammtisch ins Leben gerufen habe. Ich finde diese Treffen unglaublich motivierend. Die anderen AutorInnen bringen neue Impulse und Ideen mit und halten mir mein geliebtes Schreiben ganz weit oben auf der Prioritätenliste. Buchveröffentlichungen mit den anderen feiern ist einfach toll. Tipps austauschen, Hilfe anbieten oder auch einfach mal nur jemanden haben, der versteht, was ich meine, wenn ich von meinem fiesen inneren Kritiker rede, das tut total gut. Das Schreiben ist ja doch eine eher einsame Angelegenheit.

Tipps für den Aufbau einer Schreibgruppe? Immer wieder alle möglichen literarischen Veranstaltungen besuchen, da tummeln sich so Leute wie wir gerne. Netzwerken, ganz wichtig. Kärtchen sammeln, erwähnen, was man vorhat, immer wieder. Sich in den einschlägigen Schreibforen herumtreiben. Pinnwände in den Bibliotheken nicht vergessen. Mundpropaganda ist eh die beste. Und sich nicht wundern, wenn aus einem Verteiler von gut 100 Adressen nur knappe zehn Leute erscheinen. DAS IST GANZ NORMAL! Man muss die Leute dazu bringen, mindestens einmal zu kommen. Dann kommen sie meistens wieder.

Was würdest du jungen Autorinnen und Autoren raten, die gerade mit dem Schreiben anfangen. Was sollten sie beim Schreiben und bei der Auswahl des Lektorats beachten?

Üben, üben, üben. Immer weiterschreiben, nur nicht aufgeben. Mit jedem Wort wird man ein kleines bisschen besser und erfahrener. Und wenn sich alles wie Mist anhört … trotzdem weiterschreiben. Ich bin immer wieder erstaunt, wie gut sich so mancher Text von mir anhört, wenn ich ihn Jahre später lese. Wo ich doch damals so einen Mist geschrieben habe.

Ich halte das gegenseitige Kommentieren von Texten für die allerbeste Art und Weise sein eigenes Schreiben zu verbessern. Sucht euch Gleichgesinnte und bearbeitet euch die Texte gegenseitig.

Bei der Auswahl des Lektorats würde ich unbedingt auf die Chemie achten. Kann ich mit den Kommentaren des Lektors umgehen oder fühlen sie sich ungut an (Kritikfähigkeit sei hier vorausgesetzt). Unbedingt ein Probelektorat machen lassen. Am besten funktioniert ein Lektorat, wenn auch der Lektor für den Text brennt. Und immer daran denken, dass der Lektor nur im Sinn hat, den Text zu verbessern. Er geht da recht emotionslos ran. Nicht jede Kritik persönlich nehmen. Vor der bösen Mail drüber schlafen und den verbesserten Text mit unvoreingenommenem Geist nochmal lesen. Vielleicht … vielleicht hat der Lektor ja doch recht. Es kommt übrigens immer wieder vor, dass gerade die Textstellen, die einem am besten gefallen, gnadenlos rausgestrichen werden. Wenn man es sich mit ein paar Jahren Distanz nochmal anschaut, versteht man meistens auch, warum.

 

Vielen Dank Yvonne für deine Zeit und deine interessanten Antworten 🙂


Mehr über Yvonne und ihre Bücher könnt ihr auf ihrer Webseite:  www.satzkrobatik.de sowie auf ihrem Blog: blog.satzkrobatik.de finden.


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Nikodem

Nikodem Skrobisz, auch unter seinem Pseudonym Leveret Pale bekannt, wurde am 26.02.1999 in München geboren. Er ist als nebenbei als Schriftsteller tätig und hat bereits mehrere Romane und Kurzgeschichten publiziert, die meist philosophische und gesellschaftliche Themen behandeln. Er studierte Kommunikationswissenschaften, Psychologie, Philosophie sowie Sprachen und Literatur. Aktuell studiert er im Master Philosophie. Halbprivate Einblicke gibt es auf Instagram

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