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Lektüreempfehlungen zum Thema Faschismus

Vor wenigen Tagen erschien mein neuer Roman Der Faschist, der aus der Sicht eines Faschisten erzählt, wie eine fiktive neofaschistische Bewegung im Europa des Jahres 2024 nach der Coronarezessesion ihren Marsch zur Macht antritt.

Der Roman wird wahrscheinlich einige Menschen zumindest zu Beginn etwas verwirren, denn die meisten haben heutzutage nur ein oberflächliches Verständnis davon, was der Faschismus wirklich ist, was auch daran liegt, dass der Begriff selbst heutzutage zu einem beliebig einsetzbaren und fast schon bedeutungslosen Schimpfwort verkommen ist. Ich habe mich selbst daher vor dem Schreiben des Romans recht intensiv mit dem Thema Faschismus beschäftigt – nicht nur zur Recherche, sondern zugegebenermaßen schon lange davor, weil eine derart auf Ästhetik und Mythologie aufbauende und oft von Schriftstellern angeführte Ideologie wie der Faschismus zwar mich intellektuell abstößt, aber zugleich eine gewisse morbide Faszination bei dem literarischen Geschichtenerzähler in mir ausübt.

Im Folgenden präsentiere ich euch eine Liste relativ zugänglicher und lesenswerter Bücher über den Faschismus und verwandte Themengebiete, die es helfen, das Phänomen Faschismus und damit auch meinen Roman besser zu verstehen. Und natürlich nachzuvollziehen, auf welchen Theorien ich meine Konzeption des fiktiven Faschismus der fiktiven European Union of Fascists in dem Roman aufgebaut habe.

Während meiner Recherchen und Grabungen in den verschütteten Ruinen des faschistischen Lores las ich selbstverständlich auch viel Primärtexte, geschrieben von Faschisten selbst, also unter anderem Essays von Mussolini, Mosley, D’Annunzio, Evola und dergleichen, Auszüge aus Goebbels Tagebüchern und so weiter. Diese sind in der folgenden Liste nicht aufgeführt. Es war zwar ein Schlüsselelemt meiner Recherchen solche Primärtexte zu lesen – schließlich musste ich mich beim Schreiben in einen Faschisten hineinversetzen und das klappt schlecht, wenn man keiner ist und nur Texte anderer Nicht-Faschisten über sie liest – aber ich empfehle niemanden solche Primärtexte zu lesen, außer jenen, die sich in einem akademischen Rahmen damit kritisch auseinandersetzen.


Fascism: A Very Short Introduction von Kevin Passmore

Wie fast alle Bücher der A Very Short Introduction Reihe von Oxford University Press ist auch Fascism kurz, aber gehaltvoll und brilliant. Auf 184 Seiten bekommt man einen stark komprimierten, aber extrem breiten Überblick über die Geschichte des Faschismus, die verschiedenen faschistischen Bewegungen und die Theorien, Definitionen und Probleme der gegenwärtigen Faschismusforschung. Das Lesen erfordert einiges an Konzentration, weil wirklich kein einziges Wort überflüssig ist, aber das Buch ist damit der beste Einstieg in die Thematik der Faschismusforschung. Nicht so leserfreundlich und stellenweise nicht so tief wie Faschistische Ideologie: Eine Einführung, aber mit einer sehr viel breiteren Perspektive auf Geschichte, Theorie und Praxis. Wenn man nur die Zeit hat eins der Bücher auf dieser Liste zu lesen, dann ist dieses hier die perfekte Wahl, ansonsten bietet es sich auch als perfekter Einstieg an, um das historische Hintergrundwissen zu erlangen, welches zum Verständnis der tiefgründigeren Fachbücher zu dem Thema notwendig ist.

An dieser Stelle empfehle ich auch noch den Band Populism der gleichen Buchreihe, weil Populismus auch so ein Begriff wie der Faschismus ist, den viele heutzutage als politischen Kampfbegriff benutzen, ohne ihn wirklich zu verstehen.


Faschistische Ideologie: Eine Einführung von Zeev Sternhell
Wer einfach nur verstehen will, was der Faschismus als Ideologie ist, was ihn im Kern vom Nationalsozialismus unterscheidet, wie er entstand und nach welchen ideologischen und intellektuellen Munstern er arbeitet und funktioniert, der hat mit diesem Essay den perfekten Einstieg in die komplexe Thematik der Faschismusforschung.

Das Buch zeigt zwar die Komplexität des Phänomens Faschismus und die Probleme seiner Definition auf eine sehr gut verständliche Art und Weise und vertieft die Thematik, bleibt jedoch weitestgehend in dem theoretischen Standpunkt von Sternhell verhaftet. Wer die verschiedenen theoretischen Perspektiven und damit ein differenzierteres Bild des Faschismus verstehen will, der wird nicht an der Lektüre weiterer Bücher herumkommen.

 


Die Kommune der Faschisten: Gabriele D’Annunzio, die Republik von Fiume und die Extreme des 20. Jahrhunderts von Kersten Knipp

Angeführt von dem exentrischen Schriftsteller und Kriegshelden Gabriele D’Annunzio nahmen 2500 Freischäler 1919 die kroatische Stadt Fiume ein und riefen die Republik von Fiume aus. Unter der Führung des rhetorisch begabten und den Titel Duce annehmenden D’Annunzio tobte dort ein Jahr lang ein wilder Exzess, der sowohl den Faschismus als auch bereits die 1968er Bewegung vorwegzunehmen schien: Fackelmärsche, massenpsychotischer Populismus angestachelt von brachialer Rhetorik, Orgien, Drogenkonsum, Freikörperkultur, römischer Salut mit der flachen Hand nach oben als Gruß. Dieser bizzaren Mischung aus Nationalismus, Schriftstellerdiktatur und Anarchismus machte nach einem Jahr die italienische Marine ein Ende, aber sie inspirierte in der Zeit einen Mann, der das Konzept weiterentwickelte und nur zwei Jahre später auf ganz Italien ausweiten sollte: Benito Mussolini (der auch ein Schriftsteller war). In dessen faschistischen Staat wurde D’Annunzio dann auch als ein Art lebende Legende verehrt und pflegte von sich zu sagen: „Das Beste des Faschismus stammt von mir, aber die Doktrin ist mir völlig fremd“.

Dieses packend und informativ geschriebene Buch hat in mir die morbide Faszination für faschistische Ideologie und Geschichte ausgelöst, die letzendlich in dem Schreiben des neuen Romans mündete, denn es zeigt auf, wie vielseitig – mitunter anarchistisch – der Faschismus sein kann und wie stark er von futuristischen und dadaistischen Künstlern und Schriftstellern vor allem zu seiner Anfangszeit geformt wurde. Hat aber auch wahrscheinlich dazu beigetragen, dass ich mein Propaganda ähm, Kommunikationswissenschaftsstudium abgebrochen und mich aus der Politik zurückgezogen habe, weil mir die Einsicht kam, dass es nicht unbedingt das beste ist, wenn sich Schriftsteller allzu stark in die Politik einmischen.


Mussolini’s Intellectuals: Fascist Social and Political Thought von A. James Gregor

Wer die Ideologie des Faschismus und ihre Wurzeln wirklich verstehen will, der kommt nicht um Mussolinis Intellectuals von A. James Gregor herum. Im Gegensatz zu anderen Faschismusforschern analysiert Gregor den Faschismus primär als eine intellektuelle Bewegung, setzt sich mit den Philosophen und Intellektuellen des Faschismus und deren Einflüssen auseinander und zeigt damit, dass der Faschismus deutlich mehr als nur vulgärer Populismus ist. Im Gegenteil, der Faschismus besitzt sogar eine solide philosophisch kohärente Basis, die zwar philosophisch so ziemlich das Gegenteil des Individualismus und Empirismus der Aufklärung und unserer kontemporären Gesellschaft ist, aber nicht als komplett irrational abgetan werden kann. Des Weiteren erklärt Gregor in welchem historischen Kontext und wie die verschiedenen Theorien und Missverständnisse über den Faschismus und damit die Problematik seiner Definition entstanden. Für Philosophie- und Politiknerds wie mich eine faszinierende Lektüre, allerdings sollte man etwas Vorwissen über die faschistische Geschichte und philosophische Terminologie mitbringen, da das Buch sonst wahrscheinlich nicht immer ganz einfach zu verstehen sein wird. Es ist dennoch das wahrscheinlich beste und lesenswerteste Buch auf dieser Liste.

Vor allem wer die Philosophie des Faschismus und insbesondere ihrer wichtigsten Vertreter wie George Sorel und Giovanni Gentile verstehen will, sollte dieses Buch lesen. In meinem Roman skizziere ich zwar die Philosophie des Faschismus – vor allem durch Namedropping in Dialogen und die Handlungen und Gedanken der Charaktere – aber es bleibt bei einer Skizze, da der Erzähler eine Aversion gegen Intellektuelles hat und eine tiefgründige Darstellung faschistischer Philosophie das Buch viel zu unleserlich, langatmig und langweilig sowohl beim Schreiben, als auch beim Lesen machen würde.

Wer an einer Universität studiert, hat übrigens ziemlich gute Chancen dieses Buch in gedruckter Form oder aber auch als .pdf kostenlos bei der Universitätsbibliothek zu bekommen, da es ein Standardwerk der Faschismusforschung ist.


Radikalisierungsmaschinen: Wie Extremisten die neuen Technologien nutzen und uns manipulieren von Julia Ebner

Dieses Buch beschäftigt sich nicht mit dem Faschismus an sich, sondern allgemein damit wie rechstextreme, islamistische und linksextreme Gruppierungen heutzutage das Internet benutzen, um neue Mitglieder zu rekrutieren, Propaganda zu betreiben und den demokratischen Diskurs zu untergraben. Die Autorin ist hauptberuflich Extremismusforscherin und man begleitet sie während der Lektüre dabei, wie sie undercover Telegramgruppen von Islamisten infiltriert und sich unter falschem Namen in Treffen von Identitären und Neonazis reinschmuggelt, um ihre Forschungssubjekte in ihrem natürlichen Umfeld zu beobachten. Stellenweise fehlt etwas der Kontext und eine Analyse der Ideologien, aber nichtsdestotrotz ist dieses Buch ein großartige Lektüre, wenn man extremistische Radikalisierungsprozesse in Zeiten des Internets verstehen will.

Gut und leicht verständlich geschrieben. Habe es zufällig beim Flanieren durch die Münchener Innenstadt in einer Buchhandlung entdeckt und zuhause angekommen in einem Zug durchgelesen.

 


Kill All Normies: Online Culture Wars from 4chan and Tumblr to Trump and the Alt-Right von Angela Nagle

Seit einigen Jahren toben im Internet brutale Kulturkriege, in denen die Waffen Doxxen, Memes und Soziale Netzwerke sind und in denen auf Plattformen wie 4chan und Reddit ganze digitale Subkulturen gedeihen wie die Incels und die Alt-Right, die auch bereits Attentäter und Amokläufer hervorgebracht haben. Wer verstehen will, wie sich die gegenwärtigen neofaschistischen und rechtsextremen Bewegungen im Internet organisieren und weiterentwickeln, wer auch etwas über den Futurismus, die Dark Enlightenment, die Neoreactionaries und Akzelerationisten des 21. Jahrhundert erfahren will und wie das alles mit dem Phänomen des modernen Nihilismus zusammenhängt, der sollte dieses Buch lesen. Für mich persönlich war es eine sehr spannende Lektüre, denn die Autorin verknüpft die gegenwärtigen kulturellen Strömungen mit der Vergangenheit und kontextualisiert sie. Wer nicht wie ich quasi in den digitalen Subkulturen von Reddit und an den Fronten der Memes Wars aufgewachsen ist (sprich, älter als fünfzwanzig ist), wird dieses Buch wahrscheinlich noch mehr als eine beängstigende Enthüllung über die dunklen Seiten des Internets und deren für die meisten Menschen unbekannten Subkulturen erleben.

Ich empfehle unbedingt die englische Originalausgabe zu lesen, weil die Übersetzung in der deutschen Ausgabe eher mangelhaft ist und anscheinend einige Fehler enthält.


Die Angstmacher: 1968 und die Neuen Rechten von Thomas Wagner

Was ist eigentlich aus den faschistischen Ideen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs geworden, wie entwickelten sie sich in den sozialen Rändern der rechtsextremen Szenen weiter, welchen Einfluss hatte die Kulturrevolution von 1968 auf sie und wie viele genuin faschistische Ideen stecken in den heutigen Bewegungen der Neuen Rechten und ihren Parteien? Thomas Wagner zeigt in seinem Buch auf, wie auch 1968 zu einem radikalen Bruch und einer theoretischen Neukonzeption rechtsextremer Ideologien führte und welche Akteure  und Einflüsse dabei eine Rolle spielten und noch immer spielen. In journalistischer Manier interviewt er im Laufe des Buches auch die Akteure und Beobachter der gegenwärtigen Neuen Rechten wie Götz Kubitschek, Ellen Kositza, Martin Sellner, den inzwischen verstorbenen Henning Eichberg, Alain de Benoist, Falk Richter und Frank Böckelmann.

In den Jahren nach dem zweiten Weltkrieg entwickelten viele der überlebenden Führer faschistischer Bewegungen wie Sir Oswald Mosley und einige Akteure der Neuen Rechten, die in diesem Buch besonders behandelt werden, eine oft als Eurofaschismus bezeichnete paneuropäische Variante des Faschismus, der sich unter anderem in der Union Movement manifestierte und eine zentrale Rolle in der neofaschistischen Ideologie der fiktiven EUF in meinem Roman spielt. Dieses Buch hilft zu verstehen, wo der Faschismus heute steht und warum sich der fiktive Faschismus in meinem Roman in einigen Punkten von dem Faschismus der 20er und 30er Jahre des letzten Jahrunderts unterscheidet.


The Decadent Society: How We Became the Victims of Our Own Success von Ross Douthat

Dieses Buch habe ich leider erst entdeckt und gelesen, nachdem Der Faschist bereits fertiggestellt und auf dem Weg zur Veröffentlichung war – durch eine Rezension von Peter Thiel in der NZZ – aber ich nehme es trotzdem in diese Liste nachträglich auf, weil es einen breiten Überblick über die Problematik bietet, die den Nährboden für Populismus und rechtsextreme Revolten darstellt und auch zu der Wahl von Gestalten wie Trump beitrug.  Entgegen der Assoziation, die der Titel bei einigen zu wecken vermag, handelt es sich bei dem Buch nicht um ein rechtsextremes, spenglersches Pamphlet voller Herumgeheule über einen vermeintlichen Niedergang des Abendlands. The Decadent Society ist im Gegenteil eine facettenreiche, empirisch gestützte und pluralistische Analyse der ökonomischen, kulturellen, technologischen und demographischen Entschleungigung und Stagnation – kurz als Dekadenz zusammengefasst – der westlichen Gesellechaften, die linke, rechte, ökologische, konservative und libertäre Perspektiven auf das Phänomen erläutert und vereint. Ich stimme dem Autor in seinen christlich beeinflussten Schlussfolgerung am Ende des Buches nicht ganz zu, aber er bezieht sich auf so viele Denker, Theorien und Perspektiven, dass man ein sehr differenziertes Bild der Lage bekommt. Brilliant geschrieben und ein guter Überblick über die Probleme des durch die Hegemonie des Liberalismus vermeintlichen Ende des Geschichte und die Verknöcherung der westlichen Institutionen durch die Dominanz und Trägheit der Boomer.


Das wars. Ich habe noch einige weitere Bücher im Zug der Recherche zu dem Thema gelesen – Karl Poppers Mammutwerk Die offene Gesellschaft und ihre Feinde ist an dieser Stelle ein nennenswertes – so wie nicht wenige Essays von Intellektuellen wie Ortega y Gasset, Umberto Eco, George Orwell und Albert Camus, allerdings decken die bisher in dieser Liste aufgeführten Bücher thematisch diese weitestgehend ab und sollten komplett ausreichen, um sich ein tieferes Verständnis der Thematik anzueignen, meinen Roman komplett zu verstehen und eine Basis zu haben, um sich bei Interesse mit den komplizierteren Details oder sogar kritisch mit Primärtexten auseinanderzusetzen.

Viel Spaß beim Lesen 🙂


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Nikodem

Nikodem Skrobisz, auch unter seinem Pseudonym Leveret Pale bekannt, wurde am 26.02.1999 in München geboren. Er ist als nebenbei als Schriftsteller tätig und hat bereits mehrere Romane und Kurzgeschichten publiziert, die meist philosophische und gesellschaftliche Themen behandeln. Er studierte Kommunikationswissenschaften, Psychologie, Philosophie sowie Sprachen und Literatur. Aktuell studiert er im Master Philosophie. Halbprivate Einblicke gibt es auf Instagram

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