27. April 2024
EssayRandnotizen

Ein heiterer Adorno Porno

Für Hannah Arendt war Theodor Adorno „einer der widerlichsten Menschen, die ich kenne“ (Ahren 1995, S.33) und je mehr ich durch seine literaturtheoretischen Exkremente wühle, desto mehr fühle ich mich Hannah Arendt verbunden, deren Werke mir dabei aus dem Bücherregal heraus über die Schulter zulächeln.

Als 1934 die Nationalsozialisten den Rundfunk gleichschalteten, applaudierte Adorno in seinen Publikationen, weil endlich der „Negerjazz“ (sic) „ausgemerzt“ wird und sah die Gleichschaltung als Chance die ganze „entfremdete Musik“ „herauszufegen“. (John 2016, S. 353) In weiteren Publikationen weitete Adorno seinen Beifall aus auf NSDAP-Komponisten und die Vertonung eines Gedichtbands des damaligen Reichsjugendführers Baldur von Schirach. (Ahren 1995, S.28)

Jemand, der Hitler bejubelt, weil dieser die Medien gleichschaltet und Jazz verbietet, und nationalsozialistische Lyrik und Musik verherrlicht – von so jemanden soll man Traktate über Freiheit, Ästhetik, Literatur und Musik ernst nehmen? Ich glaube, wir haben weiterhin berechtigte Gründe anzuzweifeln, ob Adorno „das Recht hat, in literarischen Dingen im Ernst mitzureden.“ (Adorno 2003, S.254)

Aber hier sind wir wieder. Das Adorno-Seminar, welches ich dieses Jahr an der Uni belege, verlangt es. Ich habe mich bereits durch so einige Texte von so obskurantistisch schreibenden Philosophen wie Martin Heidegger, Slavoj Žižek und Nick Land gekämpft, aber ich muss zugeben: Adorno ist ein Höhepunkt der Beleidigung des guten Geschmacks. Man möge ihm lediglich zugute halten, dass er wie eine Höhlenwand ist, von der so einige inspirierende Funken hervorspritzen, je länger und heftiger man mit der Spitzhacke des Verstandes draufhaut. Schon lange habe ich mich von keinem Autor mehr so provoziert gefühlt – das ist eine belebende Qualität. Dabei ist der Inhalt sogar noch vergleichsweise seicht. Aber wie bereits Friedrich Nietzsche in seinem Zarathustra schreibt: „sie trüben Alle ihr Gewässer, dass es tief scheine.“ (Nietzsche 2014, S. 165) Friedrich tut dies zwar in seinem Abschnitt „Von den Dichtern“ und meint damit die zeitgenössischen Schriftsteller und Poeten mit ihrem obskuren Mystizismus.

Allerdings ist Adorno etwas sehr Ähnliches wie ein Dichter: Er ist nämlich ein Musiker, ein Komponist, der sich leider entschloss Philosoph zu nennen. Wie ein Komponist seine Noten, arrangiert Adorno seine Gedanken und Worte. Allerdings nicht so lebensfreudig wie ein gutes Stück „Negerjazz“ (John 2016, S. 353) oder Funk, sondern eher wie Kirchenmusik. Doch was in der Musik ein pathosreiches Erlebnis zu erzeugen und auf sinnliche Abenteuer verführen vermag, schmiert in der geschriebenen Sprache und dem Denken eher zu einer Qual ab und führt zu irrationalen Irrfahrten. (Außer man macht es wie Jack Kerouac, aber der mochte den Jazz und besonders den Bepop und schrieb entsprechend melodisch.)

Die ganze Adorno-Lektüre führt bei mir zu depressiven Verstimmung, aber nicht aufgrund des pessimistischen Inhalts – er ist noch lange kein Cioran oder Schopenhauer – sondern mit diesem grässlichen Stil und der Inkompetenz zu einem Ariadnefaden des Denkens. Deswegen widmen wir uns diesmal einer etwas heiteren Angelegenheit, sozusagen als Mittel zur Stimmungsaufhellung. Oder zumindest etwas, was „heiter“ im Namen trägt: Adornos Essay „Ist die Kunst heiter?“. Sehen wir uns in diesem Adorno Porno haargenau an, was der Feind des „Negerjazz“ (John 2016, S. 353) so Anstößiges zur Heiterkeit und zur Kunst zu sagen hat.

Tatsächlich eröffnet Adorno diese schlüpfrige Syntax Schlittschuhfahrt mit einer so klugen wie peripheren Einsicht. Nämlich der, dass Friedrich Schiller seinen Vers „Ernst ist das Leben, heiter ist die Kunst“ im Prolog des Wallenstein bitterernst meinte, während der ursprüngliche Ausspruch als „Vita verecunda est, Musa jocosa mihi“ beim lebensfrohen Ovid einen eher augenzwinkernden Charakter hat.

Da wittert Adorno einem marxistisch geschultem Trüffelschwein gleich fälschlicherweise im Ernst des „Hofpoet des deutschen Idealismus“ (Adorno 2003, S.599) den Ausdruck einer bürgerlichen Ideologie: Das Vorahnen der Freizeitgestaltung mit ihrer bürgerlichen „Zweitteilung zwischen Beruf und Freizeit“ (Adorno 2003, S.254) mit seinen Wurzeln im Leid an der „prosaischen“, entfremdeten Arbeit.

Dass ich nicht lache. Als ob etwa das Töten von Mammuts und der Ackerbau poetischer gewesen wären als das Dashboard einer progressiv universalpoetisch operierenden Marketing-Agentur. Gerade die Zeiten von Influencern, Home Office, Personal Branding, Ökonomisierung der Intimbeziehungen zeigen, dass die Zweiteilung zwischen Beruf und Freizeit ein Anachronismus ist, ein Symptom einer prä-kapitalistischen, einer vor-bürgerlichen Zeit, als man dem Weizen auf dem bestellten Acker noch beim Wachsen zusehen konnte, statt fünf passive Einkommen zu pflegen.

Adorno scheint es auch gar nicht in den Sinn zu kommen, dass hinter Schillers Aussage vielleicht auch ein viel banalerer Grund liegen könnte als die Morgendämmerung einer aus der Zukunft einsickernden Ideologie: Der gute Friedrich Schiller litt nämlich sein kurzes Leben lang unter höllischen Schmerzen und andauerndem Fieber, da seine Organe seit einer Malariainfektion und chronifizierten Rippenfellentzündung quasi in Eiter schwammen, sodass sein Körper sich von Innen selbst zersetzte. Natürlich findet ein schwerkranker Mensch, der Opium brauchte, um seinen Körper zu ertragen, und der sogar seine zweite Dissertation an der Karlsschule seinen Krankheiten widmete, das Leben wenig heiter. (vgl. Stoya, 2014) Dass so jemand wie Schiller die Kunst als Fluchtpunkt nutzt, ist wenig verwunderlich – schließlich war die Kunst seit jeher ein metaphysischer Zufluchtsort für jene an der Wirklichkeit leidenden: von den Kranken und Armen, den Sklaven über die Mystiker und Priester bis hin zu Nero, der in ihr Trost über den Brand Roms fand. Eine Einsicht so tief schneidend wie Ockhams Rasiermesser, und doch so einfach gefunden wie der Freitod von Seneca.

Schärfer ist da doch Adornos Beobachtung aus heutiger Sicht, dass der Dichterfürst Schiller „[…] insgeheim jenen Zustand vorweg [nimmt], der in der Kulturindustrie Kunst als Vitaminspritze für müde Geschäftsleute verordnet.“ ( Adorno 2003, S.599) Das trifft doch genauer unsere Gegenwart, in welcher aus Träumen und Universitätsessays Blogposts werden, in welcher Netflix & Disney als Anästhesisten des Kapitalismus fungieren und die Massen mit woker Regenbogenzuckerwatte narkotisieren: eine schrecklich schöne neue cyberpunkige Welt des Technokapitals, in welcher nonstop Memes aus dem Cyberspace in die Neuronen ballern zwischen Ritalinlines und Retro Wave Beats, während die Newsticker, Hashtags und Aktienkurse über die Screens rattern und ununterbrochen die Push-Up-Benachrichtigungen aufpoppen wie Pixelpickel auf Adderall.

Nun, das war es aber auch schon mit einigen interessanten Anregungen fürs Erste, denn im Weiteren äußert sich Adorno erstmal in einem von „dogmatischer Verhärtung“ ( Adorno 2003, S.255) ruinierten Stil über Plattitüden mit seinen eigenen Plattitüden:

„Dennoch kommt der Platitude von der Heiterkeit der Kunst ihr Maß an Wahrheit zu. Wäre sie nicht, wie immer auch vermittelt, für die Menschen eine Quelle der Lust, so hätte sie in dem bloßen Dasein, dem sie widerspricht und widersteht, nicht sich erhalten können. […]Die These von der Heiterkeit der Kunst […] gilt für die Kunst als ganze, nicht für die einzelnen Werke. […] Kunst ist a priori, vor ihren Werken, Kritik des tierischen Ernstes, welchen die Realität über die Menschen verhängt. […] Indem sie das Verhängnis nennt, glaubt sie es zu lockern.“ ( Adorno 2003, S. 601)

Adorno ontologisiert und hypostasiert hier die Kunst als etwas, was konkret existiert, was konkret eine normative Kritik äußern kann, etwas Anthropomorphes, etwas das glauben, intendieren, in eine Richtung sich bewegen kann – hier klingt die hegelianische Ontologisierung der abstrakten Begriffe und die marxische materialistische Dialektik an mit ihrer modernen Theologie, die Materie zur Metaphysik erhöht. Aber das ist Schwachsinn, denn die Kunst ist nur eine Fiktion, tatsächlich nur das irreführend vereinheitlichende Abstraktum unzähliger unterschiedlicher Expressionen, Informationen und Handlungen, die fälschlicherweise unter einem Begriff, dem der „Kunst“ vermengt werden. Die Kunst an sich existiert gar nicht. Die Kunst widerspricht dem Dasein daher auch nicht, sie drückt es aus, ist seine psychosizale Extension. Es gibt daher unzählige unterschiedliche künstlerische Methoden und Intentionen: Manche aus der Sicht der Kunstschaffenden affirmativ, manche kritisch, manche beliebig, manche nur eine spastische Zuckung im Zeitgeist. Die Kunst hat keine fest definierbare allgemeine Natur, sie hat kein Bewusstsein, ihre Regeln biegen und beugen sich unablässig, ein Amalgam der partikularen subjektiven Expressionen jedes einzelnen Menschen. Sie ist wie ein tausendgesichtiges, sich stetig wandelndes amorphes Ungeheuer aus Inter- und Paratextualitäten, ein organloser Körper aus hervorquellenden Gefühlsregungen und ästhetischen Empfindungen, geboren aus dem Schlafe der Vernunft, den Gefühlen, dem Leiden und der Lust, dem Wunsch nach Ausdruck und Kommunikation der Unaussprechbaren, eine Methode der Kommunikation durch die Semantik der Syntax, stetigen Rebellionen in alle Richtungen, eingefangen von den klebrigen, aus dem nackten Überlebenskampf herausgebrochenen Fangarmen der Pareidolie.

Auf dem hohen Ross der abgespacten Dialektik weiterreitend und witternd, führt Adorno seinen Fehler der Ontologisierung und Hypostase der Kunst fort. So glaubt er, die Kunst wäre verstrickt in die „unversöhnlichen Widersprüche“ ( ebd. S. 601), angeblich erzeugt durch die Gesellschaft und die Realität, wobei der Fehler schon dadurch beginnt, dass er Kunst, das Dasein und Realität voneinander trennt, als wäre die Kunst nicht ein von Menschen manipuliertes Stück Realität, ein Teil unserer Simulationen & Simulacra, um hier auf Baudrillard zurückzugreifen. Kunstwerke sind schlicht verschiedene, subjektive Ausdrücke verschiedener, unzähliger Perspektiven und Aspekte, kurz: des Daseins. Die Kunst widerspricht sich daher nicht – außer man sieht auch einen Widerspruch in einem Wald, weil die aus seinem Boden wachsenden Bäume sich gegenseitig in den Schatten stellen?

Da erlaubt sich aber Adorno sogleich von „jeglichem Kunstwerk sein[en] Ernst zu fordern“ (Adorno 2003, S. 601) und verkündet, allein die Spannung zwischen Heiterkeit und Ernst würde die Kunst ausmachen. Wie schön, dass er es auch hier schafft zwei beliebige Variablen als eine dialektische Binäre zu präsentieren – muss er dafür nur einmal sich am Werke Hölderlins vergehen. An diesem glaubt Adorno auch den kulturindustriellen Zwang zur Heiterkeit zu erkennen und prophezeiten sogleich in hässlicheren Worten ein Diktat der zwanghaften, falschen Heiterkeit – als ob die postmoderne, kapitalistische Welt einen dazu zwingen würde die happyfeelingsshitshows von Disneys Marvel zu konsumieren. Würde sie das, wie Adorno es andeutet, wäre das das ein Albtraum. Aber die Wirklichkeit sieht anders aus.

Der Markt der digitalen Brave New World liefert tatsächlich nicht nur die Fratze der grinsenden Reklame, sondern auch erstklassig geschnittene Videoclips weinender Kinder in Afrika, mit denen NGOs ihre Spendenkassen füllen, Der-Große-Crash-Apokalyptiker-Literatur, Adorno-Bücher und überschüttet Bong Joon-hos „Parasite“ mit Oscars (zu recht). Auf dem technokapitalistischen, kosmopolitischen YouTube gibt es sogar unzählige arbeitslose Geisteswissenschaftler aus der ganzen Welt, die deprimierende Videoessays über Adorno in den digitalen Äther raunen – garniert mit Doomer-Memes. Auf TikTok versuchen sich Teenies dabei zu überbieten, wer depressiver, zerbrochener, unterdrückter und miserabler ist. Adornos Diagnose ist anscheinend eine misslungene, ein Heiterkeits-Diktat ist nicht in Sicht, außerhalb jener zwanghaft neurotischen Milieus aus Kalifornien, um die man aber als halbwegs in der Wirklichkeit verzwurzelter Mensch einen Bogen macht.

Die Frage die sich hier stellt ist nun, ob für Adorno der „Negerjazz“ (John 2016, S. 353) und die Produkte der Kulturindustrie zu heiter waren, und erst die NSDAP Lyrik die für Kunst nötige Portion Ernst brachte – oder wie sollen wir sonst Adornos Kunstverständnis uns nun so konkret in der Praxis, jenseits der geschwafelten Abstrakta vorstellen? Wir werden es wohl nie erfahren.

Was wir aber erfahren ist, dass Adorno der Ansicht ist, dass „das Verhältnis des Ernsten und Heiteren von Kunst […] einer hystorischen Dynamik“ (Adorno 2003, S. 602) unterliegen würde. Er argumentiert dabei überzeugt, dass „Das Heitere an Kunstwerken“ würde so etwas wie „städtische Freiheit“ voraussetzen. Das wäre der Grund, warum das was einst lustig und hurmorvoll war, heute kaum verstanden wird – als ob es nicht der schlichte Grund wäre, dass die heutigen intertextuellen und paratextuellen Kenntnisse der Menschen nicht mehr identisch sind mit jenen vor einigen Jahrhunderten oder gar Jahrtausenden. Wobei – Aristophanes Lysistrata von 411 v. Chr. ist heute noch immer humorvoll, vielleicht gar noch amüsanter im Kontext der Geschichte des Feminismus, der sich seit der ursprünglichen Verfassung entwickelte. (An dieser Stelle die Empfehlung diese so kurze wie herrliche Komödie zu lesen.)

„Das Heitere [habe] etwas von bürgerlicher Freizügigkeit, gerät allerdings damit auch in die geschichtliche Fatalität des Bürgertums.“ (Adorno 2003, S. 602) raunt Adorno bedächtig. Hier frage ich mich, was er konkret mit der Fatalität des Bürgertums meint? Meint er etwa das Wunder, das der Kapitalismus vollbrachte, in dem er die Ständegesellschaft zersetzte und alle Menschen zu Bürgern machte? Und meint er nun mit dem Hineingeraten der Kunst in diese bürgerliche Fatalität, dass dadurch nicht nur wenige Eliten mit reichen Mäzenen Zugang zu Kunst haben und Künstler sein können, sondern die technokapitalistischen Transformation dazu geführt hat, dass wir nun heute alle Künstler sind? Dass wir alle unsere kleinen Kunstwerke wie Memes, Artworks und Essays schaffen und in das kollektive Bewusstsein des Cyberspaces injizieren können? Wahrscheinlich meint Adorno gerade dies nicht, aber diese Parallelen sind hier zu erwähnen, widerlegen sie doch seinen langweiligen Kulturpessimismus.

Adorno meint: „Seitdem die Kunst […] unter die Konsumgüter sich einreiht, ist ihre Heiterkeit synthetisch, falsch, verhext. Nichts Heiteres ist vereinbar mit dem willkürlich Angedrehten.“ ( Adorno 2003, S. 603) Eine interessante Meinung, schließlich würden die meisten doch meinen, dass gerade das köstliche synthetische Prickeln der modernen Kunst und Unterhaltung ihre Heiterkeit ausmacht. Eine so starke Heiterkeit, dass die Menschen von ihr verzaubert, lieber den ganzen Tag synthetische Traumgebilde in Videospielen, Netflixserien, den meisterhaft gemixten Musikvideos von NCT 127 oder Lil Nas X und inszenierte Pornos angaffen, statt tatsächlich vor die Tür zu gehen und etwas Reales zu erleben, zu berühren, zu lieben, zu vollbringen. Aber das ist ein ganz anderes Thema, als das, welches der Stubenhocker Adorno wahrscheinlich im Sinne hat.

Da erwischt mich Adorno auf dem Weg zur Tür aber doch noch kurz: Er meint, dass nach Auschwitz keine große Dichtung mehr möglich sei und der Humor übergangenen wäre in die flache „polemische Parodie“ ( Adorno 2003, S. 604). Ich fühle mich etwas ertappt, schreibe ich nicht gerade eine polemische Parodie auf Adorno – hat er womöglich recht? Aber nein, nein. Adorno irrt wieder, versichere ich mich selbst, um eilenden Schrittes fertig zu lesen und den kritischen Theoretiker fertig zu kritisieren.

Zuerst: Nach Auschwitz ist an Dichtung so einiges Geniales und Großes erschienen – „The Howl“ von Allen Ginsberg und insbesondere „Do not go gentle into the good nicht“ von Thomas Dylan, die befreite Dichtung der Beatniks, die New Sincerity eines David Foster Wallace, die kühlen Sektionen von Burroughs und Ellis, die neuerschaffenen Mythen von Tolkien und Rowling. Aber auch die schnellzüngige, die Genre synthetisierende RythmAndPoetry eines Eminem wie „White America“, oder gar die Verdichtung und Verdinglichung von Adornos & Horkheimers „Die Dialektik der Aufklärung“ als das geniale Lied „So ungefähr“ von NMZ , der leider Adornos Lebensfeindlichkeit in die Praxis umsetzte.

Die Dichtung und Kunst blühen gerade zu auf seit den 1950ern. Durch die höhere Lebenserwartung, Kaufkraft, Bildung und Bevölkerungszahlen durch den Siegeszug des globalen Kapitalismus, kreieren, produzieren und teilen nun so viele Menschen ihre Kunst und Dichtung wie noch nie. Und wie es nunmal mit der Masse und der vorgeblichen Tiefgründigkeit der meisten Menschen so ist: der Großteil ist Scheiße, in der selbst das Erhabenste zu untergehen droht. Aber das war in der Antike nicht anders. Die Archivare haben uns halt nur die Diamanten bewahrt.

„Lachen läßt sich darüber nicht“ (Adorno 2003, S. 604), meint Adorno zu Parodien auf Hitler und den Faschismus. Abermillionen von Memes, tausende YouTube Parodien auf „Der Untergang“, „Mein Waifu is the Fuhrer“ und wohl am bekanntesten das herrlich komische Film und Musical Erzeugnis „The Producers – Springtime for Hitler and Germany“ beweisen das Gegenteil. Beim Gedanken an diese Produkte der postmodernen Kunst – pardon: Kulturindustrie – zucken bereits meine Mundwinkel glucksend nach oben – und ich bin ein zionistischer Pole. (Wie ich es hasse, die Identitätskarte auszuspielen, aber in identitären Zeiten seine Identitätskarten nicht auszuspielen, kann ein teures Vergnügen werden. Polnische Truppen kämpften für die Unabhängigkeit Haitis.) Mein halber Stammbaum erstickte unter Hitlers Wahnsinn, also es ist keineswegs so, dass mir die historische Schwere der Thematik und die Tragik der Realität nicht bekannt wären. Aber wer nicht über Hitler lachen kann, der erhebt ihn zu einer unberührbaren Gottheit, zu einem Antichristen, theologisiert ihn, wie ich bereits in meinem Essay zur Deutschen Hitler-Theologie einmal ausführte, was diesem toten Verbrecher postmortem mehr Macht gibt, als ihm zusteht.

Adorno hält dagegen: „Komödien über den Faschismus aber machen sich zu Komplizen jener törichten Denkgewohnheit, die ihn vorweg für geschlagen hält, weil die stärkeren Bataillone der Weltgeschichte gegen ihn stünden.“ (Adorno 2003, S.604) Er betont, dass der Faschismus aus der „Gesellschaftstruktur“ an sich stamme, aus Verhältnissen, die seine Meinung nach fortbestünden, wie er auch in seinem berühmten Vortrag „Aspekte des neuen Rechtsradikalismus“ weiter elaboriert. Auch wenn ich Adornos Intention nur gut heißen und seinen Gedankengang nachvollziehen kann, bin ich auch hier der Ansicht, dass Adorno das Falsche wittert und sich verirrt.

Der Faschismus ist nicht besiegt, und er wird es niemals sein. Wie ein dunkler Schatten wird er der Zivilisation stets folgen. Der Faschismus hat nämlich seine ewige Quell in der menschlichen Natur, in den niederen Herdeninstinkten und ästhetischen Empfindungen der politischen Gewalt, den erregten Massen und ihrer Romantisierung der Vernunftlosigkeit. Diese Herdeninstinkte sind aber nicht nur mit Ernst, nicht nur mit Ideologiekritik, mit Verfassungsparagraphen, mit Richtersprüchen, den Schlagstöcken des Leviathans, Systems of Control und gelenkten Mediensystemen in Schach zu halten. Man muss die faschistoiden Anwandlungen auch mit der Heiterkeit von Humor und Spott ins Lächerliche umkehren, sie diskreditieren, denn wer als Clown angesehen wird, der kann keine Mehrheiten hinter sich versammeln. Es gibt wohl wenig, was dem Faschisten Bernd Höcke an Reputationen und Chancen so effektiv geschadet hat, wie die Witze und Parodien auf sein Fiepen nach Männlichkeit und seine kruden Ansichten, vor allem durch die Satiresendungen der Rundfunkmedien.

Wenn man Menschen dazu bringt über die Faschisten zu lachen, weil man die Letzteren ins Lächerliche zieht, so baut man eine Schutzmauer aus Heiterkeit, Spott und Gelächter auf, die das Herz füllt und das Eindringen der Ideologie verhindert. Und wenn man sie auch dazu bringt, über so (neo-)marxistische Nörgler wie Adorno zu lachen, so sichert man zudem auch die linke Flanke der republikanischen Freiheitsordnung ab gegen deren parasitäre Entropie. Heiterkeit und Gelächter machen locker – und locker sollten wir bleiben, wollen wir nicht in einem totalitären und deprimierenden Ernst erstarren, wollen wir das Leben und auch die Kunst in ihrem spielerischen Ganzen erfassen, durchdringen und vor allem erleben.

 


Literaturverzeichnis
Nietzsche, Friedrich (2014): Sämtliche Werke. Bd. 4: Also sprach Zarathustra. – Kritische Studienausgabe Neuausg., 14. Aufl. München: Dt. Taschenbuch-Verl. (dtv, 30154).

Ahrens, Jörn (1995): Zur Faschismusanalyse Hannah Arendts und Theodor W. Adornos: Erkundungen in ungeklärten Verwandtschaftsverhältnissen. In: Leviathan 23 (1), S. 27–40. Online verfügbar unter http://www.jstor.org/stable/23984107.

John, E. (2016): Musikbolschewismus: Die Politisierung der Musik in Deutschland 1918-1938: J.B. Metzler. Online verfügbar unter https://books.google.de/books?id=cZe8DQAAQBAJ.

Adorno, Theodor W. (2003): Gesammelte Schriften in 20 Bänden – Band 11: Noten zur Literatur Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, 1711).

Stoya, Eva-Maria (2014). Jeden Monat ein anderes Leiden. Online verfügbar unter https://www.diepta.de/news/jeden-monat-ein-anderes-leiden und als pdf https://www.diepta.de/pta_files/news/document/PTA02_14_138_139.pdf zuletzt geprüft am 12.05.2021.,

DEVGRU-P (2019). Mein Waifu is the Fuhrer – Visual Novel Trailer – YouTube Online verfügbar unter https://www.youtube.com/watch?v=Ng18p-88C-g, zuletzt geprüft am 12.05.2021.


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Nikodem

Nikodem Skrobisz, auch unter seinem Pseudonym Leveret Pale bekannt, wurde am 26.02.1999 in München geboren. Er ist als nebenbei als Schriftsteller tätig und hat bereits mehrere Romane und Kurzgeschichten publiziert, die meist philosophische und gesellschaftliche Themen behandeln. Er studierte Kommunikationswissenschaften, Psychologie, Philosophie sowie Sprachen und Literatur. Aktuell studiert er im Master Philosophie. Halbprivate Einblicke gibt es auf Instagram

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