Trump ist nicht der neue Chamberlain
Die Tragödie des Neville Chamberlain
Die Geschichte der Menschheit kennt viele Tragödien. Wenige sind so schmerzhaft in ihren Konsequenzen wie die der Appeasement-Politik der 1930er Jahre. Neville Chamberlain, der britische Premierminister 1937 bis 1940, glaubte, Hitler mit Zugeständnissen besänftigen und für dauerhaften Frieden sorgen zu können. Der Höhepunkt dieser Friedenspolitik gipfelte 1938: Hitlers Militärapparat wuchs und die Wehrmacht marschierte immer wieder an den Grenzen der Nachbarländer auf. Das Rheinland war sei drei Jahren remilitarisiert. Zehntausende Menschen waren bereits in Konzentrationslager deportiert und ermordet worden. Der Anschluss Österreichs war vollzogen. Nun forderte Hitler unter dem Vorwand des Schutzes der dort lebenden deutschen Minderheiten Gebiete der Tschechoslowakei.
Rückblickend ist die Naivität kaum nachzuvollziehen, aber gerade in Großbritannien wollte man keinen neuen Krieg – die Schrecken des ersten Weltkriegs waren den meisten noch im Gedächtnis. Wie viele dachte Chamberlain, wenn man Hitler gäbe, was er wollte, wenn man mit ihm einen Deal machte, würde das Säbelrasseln aufhören; und das Nazireich könnte ein stabiler Partner in Europa werden. Im Münchener Abkommen von 1938 zwangen Italien, Frankreich, Deutschland und Großbritannien schließlich unter britischer Führung die Tschechoslowakei das Sudetenland an das Deutsche Reich unter Hitler abzugeben, damit dieser keinen Krieg begann.
Chamberlain ließ sich in London dafür feiern mit seinem genialen Deal für den Peace of our time gesorgt zu haben. Er erhielt auch zahlreiche Nominierungen für den Friedensnobelpreis, da viele Europäer sich 1938 sicher waren, dass Chamberlains Zugeständnisse an Hitler einen zweiten Weltkrieg verhindert hätten.
Und tatsächlich, nachdem Hitler alle deutschsprachigen Gebiete annektiert hatte, verbrachte er den Rest seiner Amtszeit als Kanzler damit sehr ertragreiche Geschäfte mit Großbritannien und Frankreich zu machen. Ah … Ne, moment mal. Schwachsinn.
Es war natürlich anders: Das Münchener Abkommen schwächte nicht nur die Tschechoslowakei, sondern auch die westlichen Demokratien selbst. Es signalisierte Hitler, dass Großbritannien und Frankreich nicht bereit waren, konsequent gegen seine Expansion vorzugehen, was ihn letztlich in seinem Kurs bestärkte. Hitler nutzte das schamlos aus. Er entfesselte Terrorkampagnen gegen die Zivilbevölkerung der besetzten Gebiete, um sie ethnisch zu säubern. Bereits wenige Wochen nach dem Münchener Abkommen wurden die Forderungen nach der Annektierung Polens laut. Ein Jahr später marschierte die Wehrmacht in Polen ein. Zwei Jahre später flatterte das Hakenkreuz über Warschau, Paris, Amsterdam, Kopenhagen und Oslo, und Bomben hagelten auf London. Der Zweite Weltkrieg tobte. Unzählige Millionen wurden im Zuge des Holocausts und der Lebensraumpolitik der Nazis ermordet. Weitere zig Millionen starben durch Hunger, Bomben, Kugeln und Krankheiten.
Der zu der Zeit weiterverbreitete Irrglaube, man könnte mit einem Diktator wie Hitler, der wiederholt Verträge brach, verhandeln – noch mehr, man könnte ihm durch territoriale Zugeständnisse in seinem Blutdurst stillen; gab er erst Hitler die Zeit und die Macht, den Zweiten Weltkrieg zu entfesseln.
Doch, auch wenn heute Chamberlain in den seichteren Geschichtsbüchern des kollektiven Gedächtnisses für viele zu einem Synonym für einen Feigling geworden ist, der den Nazis eine Konzession nach der nächste machte, so ist das tatsächlich ein vereinfachtes Bild. Chamberlain trieb auch ab 1938 die Wiederaufrüstung Großbritanniens an. Als er zudem erkannte, dass Appeasement Hitler nicht stoppen würde, schwenkte er auf Abschreckung und Eindämmung um und gab im Sommer 1939 Polen die Sicherheitsgarantie, Großbritannien würde Polen vor einer deutschen Invasion schützen. Als Hitler und Stalin gemeinsam in Polen einmarschierten, erklärte Chamberlain Nazideutschland den Krieg. Als Chamberlain 1940 von seinem Darmkrebs geschwächt zurücktrat, macht er den früher als „Kriegstreiber“ verschrienen Churchill zu seinem Nachfolger. Man muss Chamberlain zugute halten, dass er tatsächlich Frieden erreichen wollte; dass er tatsächlich den Naziterror erkannte und zu stoppen versuchte, auch wenn seine Strategie viel zu sehr auf die Vertragstreue Hitlers setzte.
Trump ist kein neuer Chamberlain
Trumps Haltung zu Putin und dessen Invasion in der Ukraine werden aktuell von einigen( z.B. https://caglecartoons.com/cartoon/292812 ) mit der Appeasement-Politik von Nevill Chamberlain verglichen. Die Gespräche der Amerikaner mit Russland in Riad unter Ausschluss der Ukraine erinnern zwar tatsächlich schmerzhaft an das Münchener Abkommen, bei dem die Tschechoslowakei ebenfalls nicht anwesend war, als der Diktatfrieden von 1938 ausgemacht wurden.
Aber Trump mit Chamberlain gleichzusetzen, wird nicht nur als Analogie der Sache nicht gerecht – es ist auch ein gewaltiges Unrecht gegenüber Nevill Chamberlain. Chamberlain hat strategische Fehler gemacht und war zu naiv, aber er war nichtsdestotrotz ein Verteidiger der demokratischen Welt, einer, der schwere Entscheidungen anging; der mit den Sicherheitsgarantien für Polen erste Schritte zu einer gemeinsamen europäischen Sicherheitsarchitektur ging; der wie Churchill sagte, mit absoluter Aufrichtigkeit nach seinen Vorstellungen handelte und sich mit aller Kraft und Macht darum bemühte, die Welt zu retten vor dem schrecklichen, verheerenden Kampf …
Als einen fehlgeleiteten, aber aufrichtigen Verteidiger des Westens und der Freiheit – also so einen kann man Donald J. Trump beim besten Willen nicht bezeichnen. Ganz im Gegenteil. Trump ist ein Verräter der westlichen Zivilisation und Freiheit. Wie ein kleiner, gekränkter Schuljunge überschüttetet er die Opfer der russischen Aggression mit Häme; versucht mit seinen Lügen den Anführer der Ukraine, Zelensky, zu belehren und zu erniedrigen. Die eigenen Verbündeten, die westlichen Staaten, Europa, werden mit Zöllen überzogen. Die Schuld an der Invasion der Ukraine durch russische Soldaten und die Massaker an der Zivilbevölkerung werden den Opfern, der Ukraine, zugeschoben. Den russischen Aggressionskrieg als solchen zu bezeichnen verbietet Trump.
Zelensky solle mit Putin verhandeln, ruft J.D. Vance (und man hörte etwas Wagenknecht und Höcke raus). Wie aber soll man mit Putin verhandeln, der bereits mehrmals zeigte, dass er sich – nicht anders als Hitler in den 1930ern – an keine Abkommen hält? Wie soll man mit dem Putin verhandeln, der in den vergangen Jahren mit den Invasionen 2014 und 2022 bereits zahlreiche Abkommen brach und mit den Füßen trat: Angefangen mit der UN-Charta von 1945, über die Helsinki-Schlussakte der KSZE 1975 … Zu zahllos sind die gebrochenen Versprechen … Für das Versprechen der Russen und Amerikaner, die Grenzen der Ukraine zu garantieren, gaben die Ukrainer bereits beim Budapester Memorandum 1994 ihre Atomwaffen an Russland ab – ein Versprechen, das Putin zuerst brach, und das nun auch Trump bricht, wodurch wohl kein Staat jemals wieder freiwillig für ein Versprechen der USA seine Atomwaffen abgeben wird. Mit dem 1997 geschlossenen Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und Partnerschaft zwischen der Ukraine und Russland, erkannte Russland die Grenzen der Ukraine abermals an. 2010 verlängerte die Ukraine den Vertrag mit Russland, der die Stationierung der russischen Schwarzmeerflotte auf der Krim erlaubte, unter der Bedingung, dass Russland die ukrainische Souveränität achtet – diesen Vertrag nutzte Putin schamlos für die Invasion 2014 aus. Die 2014/2015 geschlossenen Vereinbarungen von Minsk I und II wurden von Putin mit den Füßen getreten … Auf die berechtigte Frage, wie man mit einem Serientäter bei Vertragsbrüchen wie Putin schon wieder einen Vertrag schließen solle, der Konzessionen beinhaltet, reagieren Trump und J.D. Vance nur mit cholerische Wut eines Kindes, das beim Lügen erwischt wurde – weil sie selbst keine Antworten haben und auch nicht gewillt sind, welche zu finden.
Es ist wahr, dass die europäischen Staaten sich auf dem amerikanischen Schutzschild ausgeruht haben – es ist auch wahr, was J.D. Vance auf seiner Rede in München gesagt hat, als er über die zweifelhaften Verhältnisse der europäischen Staaten zur Redefreiheit sprach. Aber das alles sind kindische Kleinigkeiten und WhatAboutIsms, im Vergleich zu dem was Trump und J.D. Vance gerade tun – geschweige denn, dass sie es rechtfertigen würden. Trump demontiert und verscherbelt systematisch die westliche Sicherheitsarchitektur. Trump opfert die Ukraine und damit die gesamte eine transatlantische Sicherheitsarchitektur seinem Ego, das wohl nicht verkraften kann, doch nicht genial genug zu sein, um innerhalb von 24 Stunden einen komplexen Krieg zu beenden. Oder vielleicht ist er doch Krasnov, anders lässt sich diese himmelschreiende Dummheit nicht erklären; nicht erklären wie aus der Partei des Freiheitsverteidigers Ronald Reagen, die Partei des Stiefelleckers und Russlandverstehers Trump wurde.
Der Dolchstoß der Trump Regierung in die Rücken der Ukraine und damit der europäischen Verbündeten, wird nicht nur die Europa, sondern auch die USA geopolitisch schwächen und zunehmend isolieren. Er ebnet gerade jenen imperialen Kräften in Russland und China den Weg, die nichts lieber sehen wollen, als die Vernichtung der aktuellen Weltordnung. Es ist eine Ermutigung zum Krieg, dessen leidtragenden zuerst die Europäer sein werden – aber mittel- und langfristig auch die USA, denn so sehr die Rechtspopulisten gegen die Globalisten hetzen: Wir leben in einer globalen Welt, in der sich Chaos und Krieg auch schnell entlang der Lieferketten in ihren Auswirkungen globalisieren.
Trump ist kein Chamberlain. Wenn es einen Chamberlain im 21. Jahrhundert gibt, dann saß er bzw. sie im deutschen Kanzleramt: Angela Merkel, die trotz der russischen Aggression in Minsk Appeasement betrieb gegenüber Russland.
Nein, Trump ist etwas viel Schlimmeres. Er ist der Dolch im Rücken der westlichen Zivilisation und ihrer Freiheit.
Europa muss aufwachen. Mobilisieren. Aufrüsten. Nuklearwaffen anschaffen. Die EU muss endlich mal statt mit Lieferkettengesetzen und anderen Bürokratiemonstren die eigene Bevölkerung für Virtue Signaling bei NGOs zu gängeln, sich ernsthaft um die Sicherheitsarchitektur unserer Union kümmern. Denn eins ist klar: Das neue Jahrhundert der auseinanderdriftenden Machtblöcke zwischen China, Russland und USA werden die europäischen Staaten nicht für sich allein bestehen können; sondern nur im Verbund. Eine Union wie ich sie in meinem 2019 Essay Warum wir eine liberale EU brauchen beschrieb. Es bleiben uns vielleicht nur wenige Monate bis wenige Jahre, um jene Waffen zu schultern und Mauern zu ziehen, die Europa zu einer Festung machen können, die den aufziehenden Feuersturm dieses Jahrhunderts abwehren oder sogar abschrecken kann.