21. April 2025
Essay

Das ist halt eben Deutschland

Im Wartezimmer des Gesundheitsamts

Neulich fand ich mich in einer deutschen, allzudeutschen Situation wieder, die an Banalität kaum zu übertreffen ist, aber in der doch die ganze Sprengkraft schlummert, die der bestehendem Ordnung zur Zeit um die Ohren fliegt.

Ich saß im kahlen Flur einer Behörde vor einer verschlossenen Tür. Ein Zettel hing daran: Gleich zurück. Und dieses „Gleich“ schien sich in die Ewigkeit zu ziehen. Neben mir saß eine Handvoll Schicksalsgefährten, die wie ich nicht nur auf die verspäteten Staatsdiener warteten, sondern auch das Anliegen teilten.

Es ging um eine Reisebescheinigung für regulierte Medikamente. Ich brauchte eine, um ein Medikament, das ich zu der Zeit einnahm, zu einem Familientreffen in Spanien mitzunehmen. Ein Geschäftsmann, der neben mir wartete, brauchte eine Bescheinigung für ein Medikament, das er bereits seit fast einem Jahrzehnt einnahm. Vor jeder Reise – und er reiste beruflich nicht gerade wenig – das gleiche Spiel: zur Ärztin fahren, Zettel von der Ärztin stempeln und unterschreiben lassen, damit zum Gesundheitsamt fahren, den Zettel von einer Sachbearbeiterin stempeln lassen, 15 € Bearbeitungsgebühr für den Leviathan.

Jedes mal zwei Stunden Rumfahrerei und 15 € für einen Stempel auf einen Zettel, damit er mit seinen Medikamenten reisen durfte. Also ob nicht ein digitales Zertifikat nicht nur fälschungssicherer, sondern auch günstiger und zeitsparender wäre für alle Beteiligten. Nicht alle Menschen haben so viel Freizeit und können den ganzen Tag für Kleinigkeiten durch die Gegend fahren, wie die Schreibtischtäter in Regierung und Verwaltungen. Wobei, bei erster, haben die meisten vermutlich vor allem zu wenig Geld und Kontakte, um solchen Papierkram durch jemand anderen erledigen zu lassen. Der Wissenschaftlichen Mitarbeiter im Bundestagsbüro kann sich ja auch drum kümmern und ist schon von Steuergeldern bezahlt.

Dem normalen Bürger bleibt nichts, als die Verschwendung seiner Lebenszeit im Wartezimmer.

Aber, Das ist halt eben Deutschland, seufzte dieser in Form des Geschäftsmannes resigniert. Das ist halt eben Deutschland, stimmte ich Schulterzuckend zu. Was soll man schon machen, außer resigniert zu warten und zu hoffen, dass die Situation nicht noch durch ein paar kafkaesque Wendungen verschlimmert wird? Mehr zu tun, ja gar mehr zu wagen, erscheint wie der Gipfel der Naivität, wenn man sein Leben lang mit dem deutschen Staat zu tun haben durfte. Denn solche haarsträubenden bürokratischen Prozedere begegnen einen tagtäglich:

Sei es, wenn man online mal wieder Ameisenköder gegen die Plage im Garten bestellen will, nur um festzustellen, dass man seit Januar 2025 dafür ein Beratungsgespräch vor Ort absolvieren muss und daher online nichts mehr zu bekommen ist, und bei den Drogeriemärkten sind die Köder auch verschwunden aus den Regalen.

Sei es, wenn man als bereits seit einigen Jahren in der EU lebende Migrantin oder Migrant für ein Visium in das Heimatland fliegen muss, weil man den Antrag bei der Deutschen Botschaft dort stellen muss, statt es in Deutschland zu tun, wo man sich bereits befindet. Was mehreren Bekannten von mir passiert ist, darunter Leute aus Japan und Indien, die nach Europa gekommen waren, um Medizin oder Informatik zu studieren, und eigentlich danach bleiben und arbeiten wollten.

Sei es, wenn man heute – es ist der Mittag des 23. Feburar 2025, Bundestagswahl, während ich diese Zeilen ergänze – als Deutscher im Ausland seine Stimme nicht abgeben abgeben kann, weil die Bürokratie ihre Wählerverzeichnisse nicht organisiert bekommt. Nicht einmal der Botschafter von London hat seine Wahlunterlagen rechtzeitig bekommen und ist damit – wie insgesamt schätzungsweise ~ 200.000 Deutsche – von seinem demokratischen Wahlrecht ausgeschlossen.

Sei es, wenn man sieht, wie die Verwaltung für Unternehmen immer mehr wächst und wächst, immer mehr Beauftragte für Lieferketten, Datenschutz, Diversität und tausend andere Dinge, stapelweise Dokumentationen erstellen, die niemand jemals wird lesen können.

Je länger man in Deutschland lebt, desto mehr resigniert man angesichts der Bürokratie. Wie ein schmerzhaftes Magengeschwür wächst und wächst sie von Jahr zu Jahr und erstickt jegliche ihr greifbare Lebensenergie. Das ist jedoch die falsche Reaktion.

Das Geschwür wächst und wächst

Die richtige Reaktion auf das Geschwür der lebensfeindlichen Unvernunft und fehlenden Pragmatik, die sich in der reinen Vernunft des Nomos verkleidet ist nur eine: Wut.

Grenzenlose Wut. Dieses banale Böse der Bürokratie, der selbstgerechten Schreibtischtäter in deutschen Beamtenstuben und Verwaltungen, der realitätsfremde Aktionismus der Parlamentarier und Juristen, die die Gesetze schreiben, sollte uns zornig machen.

Ein wenig Regeln und Verwaltung, etwas Ordnung, ist ein notwendiges Übel, schafft es doch die Grundlage für ein zivilisiertes und sicheres Zusammenleben. Aber das, was in Deutschland herrscht, ist mittlerweile Wahnsinn, der gerechten Zorn entflammen müsste.

Doch stattdessen haben wir uns an den Wahnsinn gewöhnt – mehr noch, den Wahnsinn versuchen wir zunehmend mit noch mehr Wahnsinn zu bekämpfen.

Immer wieder versprechen Politiker, den „bürokratischen Wahnsinn“ einzudämmen. Und was passiert? Das Gegenteil. Bürokratieabbaugesetze werden erlassen; und am nächsten Tag die nächsten Regularien getippt und wieder mehr Posten in Ministerien und Räten verschachert, mehr Gelder in die Stiftungen der Parteifreunde verschoben – und mit jedem neuen Gesetz wächst das Dickicht an Regeln nur weiter. Wie ein Staat im Staate, wächst und herrscht der ungewählte Bürokratieapparat ungezähmt von allen gegenseitigen Versprechen der Politik:

Trotz Bürokratieentlasungsgesetz I (2015), Bürokratieentlastungsgesetz II (2017), Bürokratieentlastungsgesetz III (2020) und nun Bürokratieentlastungsgesetz IV (2024) … ist die Bürokratielast in dieser Deutschen Banenrepublik nur gewachsen. Trotz aller Wahlkampfbehauptungen der Ampel- und GroKo-Parteien – und ihrer vorherigen Versprechen – haben die letzten Jahre zudem keinen systematischen Bürokratieabbau gesehen.

Seit 2010 ist die Zahl der deutschen Gesetze um 7% auf 1.792 gestiegen – die Zahl der Einzelnormen sogar um 21% auf 44.272.

Die Zahl der Beschäftigten im öffentlichen Dienst stieg um 14,9% (Dabei allein 8% während der Ampelregierung).

Allein in den letzten 10 Jahren ist noch dazu die Zahl der grundlegenden Rechtsakte in der EU um knapp 41% auf 6.500 gewachsen.

Was trotz dieser wachsenden Regelgeschwüre auch gestiegen ist, ist der DAX, der deutsche Aktienindex – aber vor allem, weil die deutschen Unternehmen ihre Wertschöpfung zunnehmend ins Ausland verlagert haben, also zunehmend nur noch vom Sitz und der Historie, also lediglich von der Hülle her, deutsch sind.

Für all die Wachsmalstift-Intellektuellen mit Formular-Fetisch, normierten Kontrolleure der Normativität und Möchtegern-Blockwärter, die diese wachsende Flut an Regeln durchsetzen und ihre Überwachung kontrollieren, benötigt es natürlich auch Geld. Viel Geld. Steuergeld, das der tatsächlich produktiv arbeitenden Bevölkerung genommen wird und in der Bürokratie verschwindet. Deutschland hat unter den 38 OECED Staaten die zweithöchste Steuerlast – doch, dass und wie sich der Leviathan als großer Parasit durch die Bevölkerung frisst, ist die Geschichte für die Polemik an einem anderen Tag.

Denn das Problem ist nicht nur, dass so viele Regeln herrschen, dass die Bevölkerung darunter erstickt – die Bürokraten selbst verheddern und erwürgen sich zunehmend selbst in den von ihnen gezüchteten Paragraphenduschungel, sodass die Bürokratie, und mit ihr der Staat, zunnehmend versagen genau dazu zu tun, woraus sie ihre Legitimation, ihre Existenzberechtigung, beziehen: Für Sicherheit zu sorgen.

Der bürokratische Tod

Denn so ärgerlich mein jüngstes Erlebnis im Gesundheitsamt ist – die sinnlose Herumfahrerei für Stempel auf Papierzetteln (Papier – außer um Bücher zu drucken und Liebesbriefe zu schreiben, wofür benutzt der in der Gegenwart und Zukunft lebende Mensch es eigentlich noch?) – so verschwindend irrelevant und banal ist es, im Vergleich zu den tödlichen Exzessen der Bürokratischen Gängelei.

Ja: tödlich, denn Bürokratie tötet. Bürokratie kostet Tag für Tag Menschenleben, nicht nur metaphorisch, nicht nur symbolisch, sondern wortwörtlich. Sie raubt nicht nur wertvolle Lebenszeit, sie verschlingt nicht nur kostbare Stunden in Wartezimmern und zwischen Papierbergen, die man besser mit den Liebsten oder am See verbringen könnte, sondern sie löscht auch Menschenleben aus.

Die Bürokratie hält Ärzte und Pflegekräfte von ihrer Arbeit ab, da sie immer mehr damit beschäftigt sind, Zettel auszufüllen, statt Patienten zu helfen. Im Durchschnitt verbringt mittlerweile hierzulande das medizinische Fachpersonal 3 Stunden pro Tag mit dem Füttern des Papiergottes, statt bei der Rettung von Patienten. Es lässt sich schwer quantifizieren, aber die in der Folge durch Zeitmangel fehlende oder fehlerhafte Behandlung, kostet vermutlich mehrere tausend Menschenleben pro Jahr.

Die Bürokratie hält zudem auch hochqualifizierte Migranten ab, die eben z.B. auch als Ärzte oder Pflegekräfte in Deutschland arbeiten könnten, um den Mangel ausgleichen. Zum Teil, weil die Anerkennung der Qualifikationen 18 bis 24 Monate dauert, zum anderen, weil selbst qualifizierte und zahlungskräftige Fachkräfte aus der Finanzbranche nicht in der Lage sind, von den in ihren eigenen Paragraphen erstickenden Ausländerbehörden entsprechende Erlaubnisse zu kriegen.

Die Bürokratie erzwingt oft die Vernichtung von unzähligen Tonnen an Lebensmitteln, obwohl diese noch gespendet und gegessen hätten werden können – allein in der EU trägt dies zu der Verschwendung von 88 Mio. Tonnen Nahrung bei. Von der noch davor ansetzenden Gängelung der Landwirtschaft, als ob auf dieser Welt nirgendswo Hunger herrschen würde, braucht man gar nicht erst anzufangen.

Die Bürokratie tötet zudem, indem sie die konsequente Internierung und Abschiebung von immigrierten Serienvergewaltigern, Mördern und Terroristen verhindert, selbst wenn deren Asylanträge abgelehnt wurden. So werden Abschiebungen verschleppt, Duldungen verteilt, und Daten über Gefährder versickern zwischen den Behörden. Von den traurigen Konsequenzen wurde vor wenigen Tagen auch meine Heimatstadt München getroffen. Der Asylantrag von Farhad N., einem Islamist aus Afghanistan, wurde bereits 2017 abgelehnt. Doch seine Abschiebung wurde ausgesetzt. Acht Jahre später rast er ungehindert in eine Menschenmenge – die Zahl der Toten ist noch ungewiss. Eine Mutter und ihr 2 Jahre altes Kind sind bereits gestorben. Es bleibt zu hoffen, dass es nicht mehr werden, und dass jene, die noch um ihre Leben kämpfen in den Krankenhäusern, schnell gesunden werden.

Noch während das Entsetzen, der Schock und die Trauer über diese brutale Tat einsetzen, kann die Politik es nicht lassen, hohle Phrasen zu dreschen. Als ob diese Tat nicht verhindert worden wäre, wenn nicht geltendes Recht effizient und konsequent umgesetzt worden wäre. Dabei wiederholt sich das Muster nur zu wieder – wir sahen es schon beim Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt 2016, wie auch bei den Islamistischen Anschlägen in Solingen und Mannheim 2024, und in zahlosen anderen Fällen: Ein Migranten aus einem islamistischen Land, stellt Asyl, soll abgeschoben werden, die Abschiebung wird in den bürokratischen Mühlen verschleppt, teilweise über Jahre, bis es zum Anschlag kommt … Das Muster wiederholt sich und wiederholt sich, und die politische Kaste zeigt sich im Großen und Ganzen absolut lernunfähig. Wie mittlerweile auch klar ist: vor allem, weil die Politik und die Bürokratie sich mit ihrer eigenen Regelwut und Sturrheit selbst lahmlegen.

So ließ ein gewisser Justizminister Dr. Wissing (eben jener Opportunist der letzten Stunde, der während die Bastille gestürmt wird, sich noch schnell zum ancient regime bekannte) sich wie folgt zitieren (Hervorhebung durch den Verfasser):

„Erneut ist ein Mann mit einem Auto in eine Ansammlung friedlicher Menschen gerast, die ihr Recht auf Arbeitskampf wahrnehmen wollten. Die Tat trifft damit einen Kern unserer freiheitlichen Gesellschaft. Es verdichten sich die Anzeichen, dass es sich bei dem Vorfall um einen Anschlag handelt. Sollte sich der Verdacht erhärten, wird unsere Rechtsstaat den mutmaßlichen Täter zur Rechenschaft ziehen. Auch über politische Konsequenzen müssen wir weiter diskutieren.“

.. Diskutieren? Der Mann möchte nach dem sechsten islamistischen Anschlag innerhalb von zehn Monaten weiter über politische Konsequenzen diskutieren? Es wird seit Monaten, ah, was, seit Jahren, seit nunmehr einem Jahrzehnt nach Merkels Wir schaffen das! (Aber wie?) diskutiert, geredet, verordnet, betrauert … und es passiert nichts, außer nahezu effektloses Quasseln.

An Tagen wie diesen überrascht es nicht, dass vielen Menschen die menschliche, allzumenschliche Emotion des Wutes und des Hasses hochkocht. So ist wäre es vorstellbar, so mancher würde davon fantasieren, mit der Faust durch die Wand des Reichstags zu schlagen, um die aus seiner Perspektive nutzlosen Quassler an der Gurgel gepackt herausschleifen, sie zu schütteln und fragen, wann sie endlich statt nur zu diskutieren und zu regulieren, tatsächlich etwas Tun? Ob sie jemals etwas nützliches in ihrem Leben für die an sie gezahlten Steuergelder getan hätten? Aber solche Fantasien und Meinungen, auch wenn sie mutmaßlich nicht wenige Menschen im Eifer des Moments überkommen, behalten doch die Klugen für sich. Es kann ja sonst heutzutage schnell passieren, dass die Polizei einen morgens aus dem Schlaf reißt und einem die Smartphones wegnimmt – worüber so mancher in der Staatsanwaltschaft dann lacht, wie man erst vor kurzem bei CBS sehen konnte. So manche amerikanischen Freunde berichteten mir, seitdem besser ein gewisses Buch von Hannah Arendt zu verstehen …

Und das ist fatal: Zu viel Bürokratie macht das Leben nicht nur schwer und ist in Gefahr zu einer tyrannischen, totalitären Geisel zu werden. Je mehr Gesetze und Bürokratien, desto weniger gut funktioniert deren Umsetzung. Und ein Bürokratie, die nicht funktioniert, untergräbt das Vertrauen in den Staat. Sie erzeugt Frust. Sie erzeugt Wut. Sie erzeugt Ressentiments. Ressentiments, welche den Nährboden für Demokratiehass, dem populistischen Ruf nach einfachen Lösungen und dem Aufstieg der Extremisten darstellt. Die typisch deutsche Reaktion, auf das Ressentiements, mit noch mehr Repression, Demokratiefördergesetze, Verbotsverfahren, Strafe etc zu reagieren, statt dessen Wurzeln zu bekämpfen, führt zu noch mehr Entfremdung der Bevölkerung und damit noch mehr Ressentiments. Es gibt wenig, was so schädlich für das Vertrauen in die Demokratie war, wie die Schwachkopf-Affäre; denn sie schüchterte mit dem Chilling effect den Diskurs ein und ist Fahrwasser auf den Mühlen der Feinde der Republik.

Die Lage der Welt, und insbesondere Europas und Deutschlands ist ernst. J.D. Vance übertrieb in seiner Rede beim MSC 2025 in München in gewohnt amerikanischer Art ein wenig und lenkte dreist von den deutlich größeren Problemen unserer Zeit ab (Russlands Expansionismus, Chinas Einflussnahme …) , aber er traf einen wahren Kern und die getroffenen Hunde bellen … Aber ob das die bevorstehende Einführung der Chatkontrolle durch die EU, den Ausbau des Überwachungsstaates für die alles -wissen-wollenden,-aber-nichts-verstehen-könnenden Bürokraten; ausbremsen wird … Man mag hoffen. Man mag hoffen, dass die demokratischen Käfte in Europa sich an die Nase fassen und die wirklich ernsten Problem angehen, statt die Bürger weiter passend regeln zu wollen: Die Wirtschaft, die erstickende Bürokratie, die geopolitische Bedrohung durch Russland, China und eine zunehmend unzuverlässige USA.

Die Lage ist ernst, wie sie es lange nicht mehr war.

Diese ernste Lage verlangt daher nach Taten, nicht nach noch mehr Worten und Paragraphen. Es braucht frische Luft, einen neuen Wind, der wieder Leben einhaucht, der den unter seiner eigenen Last knirschenden und zerfallenden Staatsapparat fundamental erneuert, bevor er mit seiner Last uns alle erschlägt.

Doch was tun?

Die Lösung aus dem Würgegriff

Das System wird sich nicht selbst reformieren, denn die Bürokraten, die von ihm profitieren, haben kein Interesse an Veränderung. Jede Institution, jede Bürokratie, expandiert ihre Befugnisse, ihre Macht, ihre Einmischung in das Leben der Menschen, mit der Zeit.

Die stetig expandierende Macht von nutzlosen Bürokraten, die ihre Befugnis zu weit ausweiten bis sie versagen; die Akkumulation von immer erstickenderen Normen, Gesetzten und Regularien – das alles ist der gewöhnliche Lauf der Dinge. Wie Unkraut wächst die staatliche Macht über jede Gesellschaft von Jahr zur Jahr, bis es sie vollständig erstickt.

Wie Unkraut, muss man daher regelmäßig den Garten der Gesellschaft von der staatlichen Tyrannei befreien. Oder wie Thomas Jefferson es einst pointiert schrieb: The tree of liberty must be refreshed from time to time with the blood of patriots and tyrants.

In den letzten Jahrhunderten haben Revolutionen und Kriege den regelmäßigen Kollaps von Regierungen erzeugt, und so dann, wie ein reinigendes Feuer die Gesellschaft vom bürokratischen Gestrüpp befreit, sodass das Leben wieder aufblühen konnte.

Es wäre Wahnsinn zu glauben, eine Revolution und die Schaffung einer tabula rasa würden die Probleme unserer Gegenwart lösen. Wie sogar jeder Feigling einem bestätigen kann, hat Gewalt noch nie ein Problem gelöst; der Stiefel verschwindet meist dann doch aus dem Gesicht, wenn man ihn lang genug leckt.

Nein, eine Revolution ist ein extremistisches, ein allerletztes Mittel, ein Zivilisationsbruch, von dessen Notwendigkeit wir noch weit entfernt sind, ziemlich sicher nie erreichen werden. Ziviler Ungehorsam ist sowieso in Deutschland außerhalb eines Staatsstreiches illegal – und ich würde niemals Illegales befürworten.

Nein, ein kleines, reinigendes Feuer von Innen und in den geordneten Bannen des Rechtsstaats, würde reichen, um das Unkraut, das in Deutschland und Europa wuchert, zu zerschneiden. Man müsste es nur entzünden …

Normalerweise bieten Wahlen die Möglichkeit eines kalten Krieges, einer geordneten Revolution ohne Verletzte und Tote, die im regelmäßigen Turnus – meist alle vier oder fünf Jahre auf dem Papier, faktisch alle paar Jahrzehnte – die verbrauchte, herrschende Klasse austauscht und gegen etwas neues ersetzt. Gegen neue Eliten, neue Akteure, die nicht mit den Beamten unter ihnen durch Parteibücher, Seilschaften und Gepflogenheiten verbunden sind, und daher weniger Schwierigkeiten haben, dort aufzuräumen, wo aufgeräumt wird. Diesen Elitenzyklus überstehen zwar die meisten Bürokraten als Beamte, doch durch die Veränderung an der Spitze können trotzdem überfällige Reformen, kleine, kontrollierte Feuer, entflammt werden.

Macron hat dies Frankreich exzellent vorgemacht in seinem Jahrzehnt, auch wenn er nicht weit genug ging, hat er doch viele Reformen durchgebracht, die nun das aus Deutschland fliehende Kapital zu sich ziehen. Milei ist ein radikaler und spannender aktueller Fall in Argentinien, der vielleicht Schule machen wird. Trump und Musk in den USA …. Eine brachiale und unkontrollierte Detonation.

Braucht es die Kettensäge?

Sehnsüchtig wandert bei so manchem der Blick über den Atlantik, wo die Machtkartelle alter Parteien, Behörden und Bürokraten mit der Kettensäge zerschlagen werden.

Zugegebenermaßen, selbst wenn man libertäre Neigungen hat – wie meine Wenigkeit – kann man nicht anders, als den Kopf zu schütteln über die Inkompetenz, den Dilettantismus und die eher unkreative Destruktion bisher, die DOGE in den USA angerichtet hat. Solch eine brachiale und unprofessionelle Demontage von Behörden kann keine Blaupause für Europa sein, geschweige den Deutschland. Aber, der grundsätzliche Reformwillen, der Ansporn das Unkraut im Garten des Staates zu jäten, ist etwas, was wir in Europa dringend gebrauchen; wobei wir uns lieber für einen kluge Arzt mit Skalpell umsehen sollten, statt nach eine Kettensäge. Das europäische Staatengefüge ist doch noch deutlich instabiler als der us-amerikanische Förderalismus.

Aber, nun, um jemanden mit ansatzweise so viel Reformwillen wie Milei oder Macron in ein zumindest rudimentär äquivalentes Amt des Staatsoberhaupts – ergo, die Kanzlerschaft – zu heben, müssten wir in Deutschland erstmal entsprechende demokratische Mechanismen haben. Vor allem direktdemokratische Mechanismen, die die Machtkartelle von Parteien überwinden. Bevor wir von der Befreiung vom Joch der Bürokraten träumen können, müssten wir erstmal ganz grundlegende demokratische Freiheiten etablieren – und diese sind meiner bescheidenen Ansicht nach, nachwievor recht dürftig implementiert in Deutschland.

Die Redemokratisierung Deutschlads

Die Bundesrepublik Deutschland müsste erstmal lernen eine richtige Demokratie zu sein, in der Kanzlerinnen eben nicht von Parteioligarchien in Hinterzimmern ausgemacht werden, um dann das Land 16 Jahre lang in die Stagnation hineinzuregieren. Eine Demokratie ist auch nicht, wenn ein beim demos unbeliebter und vermutlich in Hinblick auf Cum-EX fragwürdiger Verwalter vorgesetzt wird. Eine Demokratie ist es auch nicht, wenn man die Formulierung ‚das ist eine Gefahr für die Demokratie‘ immer dann schreit, wenn ein beim demos populäre Ansicht den eigenen Machterhalt gefährdet.

Das Problem ist: die Deutschen als kulturell und nationalhistorisch definiertes Volk haben Demokratie nie so wirklich gelernt; sie nie wirklich erkämpft. Erst nach Zwei Weltkriegen wurde zumindest einem Teil Deutschlands von den demokratischen Besatzungsmächten eine demokratische Form aufgezwungen. Als es 1990 zur Wiedervereinigung kam, hatte Deutschland die Möglichkeit, und manche würden sogar argumentieren die Pflicht (durch Artikel 146 des Grundgesetzes) eine neue Verfassung mit demokratische Legitimation durch Volksabstimmung zu schaffen. Hat man nicht. Lieber weiter mit dem Status Quo weiterwurschteln. Lieber weiter schön den Kopf unten halten, die Schaumweinsteuer für den Erhalt der kaiserlichen Flotte zahlen, und hoffen, das der Leviathan schon die anderen trifft.

Und während Deutschland immer weiter verkrustet, in seinen Strukturen erstarrt, zieht die Welt immer schneller vorbei.

Was Deutschland braucht ist ein Mentalitätswandel. Es muss sich die Erkenntnis mal entfalten, dass eine Gesellschaft auch und ja, sogar viel besser funktionieren kann, wenn man nicht versucht sie bis in kleinste Detail zu kontrollieren und zu steuern; und wenn man stattdessen den Menschen eine Fehlertoleranz, Vertrauen und Autonomie zugesteht. Es muss sich aber auch ein Vertrauen in die demokratische Partizipation der Bürger etablieren, denn dieses ist noch zu schwach ausgeprägt.

Aber genug der Tirade. Ich gehe mal nachsehen, ob die ersten Wahlergebnisse schon da sind …

Nikodem

Nikodem Skrobisz, auch unter seinem Pseudonym Leveret Pale bekannt, wurde am 26.02.1999 in München geboren. Er ist als nebenbei als Schriftsteller tätig und hat bereits mehrere Romane und Kurzgeschichten publiziert, die meist philosophische und gesellschaftliche Themen behandeln. Er studierte Kommunikationswissenschaften, Psychologie, Philosophie sowie Sprachen und Literatur. Aktuell studiert er im Master Philosophie. Halbprivate Einblicke gibt es auf Instagram

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