19. April 2024
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Metanoia – Kapitel 2 – Teaser

Kapitel 2: Büroflair

Es war ein heißer Julitag. Rekordtemperaturen, kaum dass die Sonne am Himmel erschien. Mein Sakko klebte mir durch das durchgeschwitzte Hemd am Rücken, als ich kurz vor neun Uhr erleichtert aus den sonnendurchfluteten Einkaufspassagen der Altstadt in die klimatisierte Empfangshalle von Borfluss Consulting International trat.
Auf der Fahrt war ich kurz auf dem Rücksitz des Taxis eingenickt und hatte die wenigen Minuten des Schlafs in wirren Träumen verbracht, in denen mich dunkle Schatten verfolgten. Benommen von der bleiernen Müdigkeit kaute ich auf einem Minzkaugummi, um den Geruch des Alkohols zu verdecken. Meine über den Marmorboden schreitenden Derbys ließen den klackenden Klang des Prestiges erklingen, während ich mich zu einem lächelnd Gruß an die Empfangsdame zwang. Die ältere, stets gutgelaunte Frau mit offensichtlich blond gefärbten Haaren und dem Titel Office Managerin grüßte fröhlich „Guten Morgen, Cassian? Ist es nicht ein schöner Tag?“
„Guten Morgen Brundhilde! Ja ist er, perfekt, um am Fenster von einem Strand zu träumen“, entgegnete ich. So langsam spürte ich die Müdigkeit aus meinen Knochen weichen, während ich immer schneller ging, an den Aufzügen vorbei und zum Treppenhaus. Ich nahm die Treppe, die Marmorstufen hoch, sechs Stockwerke entlang an den Toren von Privatbanken, Investmentberatern und Notaren. Stets einen guten Ausblick über die Fenster in den Innenhof, wo Porsches, BMWs, Teslas und ein Lucid um die funkelndste Haube auf dem Parkplatz konkurrierten. Im sechsten Stock bei unserem Büro angekommen, tanzten mir dunklen Flecken vor den Augen, während ich keuchend aber endgültig wach die Tür mit meinem Angestelltenausweis entriegelte.
Der Sound und die Gerüche des geschäftigen Treibens begrüßten mich: eine Mischung aus männlich lavendeligen Ambroxan von Dior Sauvage, etwas weiblich fruchtige Süße von Coco Chanel und eine Menge Schweiß, Desinfektionsmittel und Kaffee, akustisch untermalt von einem ununterbrochenen Tastenklappern und enthusiastischen Floskelnreden. Überall Anzugträger und Blazerdamen, die hässliche Headsets trugen und an ihren Schreibtischen in internationalen Videokonferenzen feststeckten oder Tabellen und Präsentationen bastelten. Aber natürlich alle ohne Krawatten, Business Casual, schließlich waren wir bei der coolen Kavallerie der Wirtschaftswelt.
An den elfenbeinweißen Wänden hingen alle zwei Meter postmoderne Kunstwerke aus der Sammlung der Eigentümer – neurotische Farbexplosionen, die mich an meine Jackson Pollock Suizidfantasien erinnerten. Zielstrebig holte ich meine Laptoptasche aus meinem Spind – er war, wie die aller Praktikanten und Werkstudenten in der untersten Reihe auf Knöchelhöhe, sodass ich mich hinunterknien und hoffen musste, dass mir dabei nicht die Anzughose am Hintern aufriss wie erst vergangene Woche einem Praktikanten, der danach die Quartalszahlen der Outplacementsparte zusammen mit seiner geschmacklosen Gucci Unterhose präsentieren durfte – und ging in den Küchenraum. Zuerst trank ich einen Kaffee und als ich merkte, dass das nicht genügte, exte ich einen zweiten und ging mit einer dritten Tasse los, auf der Suche nach jemanden aus meiner Abteilung.
Ich arbeitete in der Abteilung BrandY. Die Marketingdivision. Fancy Name, young und innovativ, Brandy durften wir während der Arbeitszeiten natürlich trotzdem nicht trinken, das gehört sich nicht für Highperformer. Feste Arbeitsplätze anscheinend auch nicht. Jeder schnappte sich morgens gerade den nächstgelegenen freien Tisch mit Dockingstation. Das sollte die Workplace Culture fördern oder so. Halt dafür sorgen, dass wir alle abteilungsübergreifend ins Gespräch kamen und beste Freunde wurden, während wir uns um die prestigträchtigsten Projekte prügelten.
Gerade sorgte es aber nur dafür, dass ich kaffeeschlürfend den Gang rauf und runter lief auf der Suche nach einer unbesetzten Dockingstation und nach Andreas, dem Consultant, dem ich zuarbeitete. Der zwei Meter Glatzkopf in seinem hellblauen Business Casual Armani Look tauchte schließlich aus einer der Toiletten auf und winkte mir mit seinem Jordan-Belfort-Grinsen zu.
„Jaaaaa Guten Morgen, da ist ja mein Arbeitstier. Ich hatte dich schon gesucht“, sagte er, demonstrativ auf seine Apple Watch schauend, laut der es zwei Minuten nach Neun war.
Ehe ich mich versah, hatte er mich in einen der winzigen Konferenzräume für interne Meetings geschoben und briefte mich über die To-Dos des Tages. Google Analytics hatte wieder ein Update gebracht, Tags mussten neu gesetzt werden, Anzeigen optimiert, Daten, Daten und nochmals Daten ausgewerteten werden, Exceltabellen gefüllt, Exceltabellen in PowerPoints übersetzt werden und … und … ich hörte nicht wirklich zu und nickte nur heftig, um meine hohe Motivation zu signalisieren. Ab und zu sagte ich irgendetwas wie „Alles klar!“, „Selbstverständlich“ und „Natürlich.“
Nach zehn Minuten Briefing eilte Andreas davon, wichtige Meetings riefen ihn. Ich holte mir noch einen Kaffee und sichert mir einen freien Schreibtischplatz, direkt unter der Klimaanlage, sodass die kalte Luft über meinen Nacken strömte. Nachdem ich meinen Laptop aus der Tasche geholt und in die Dockingstation gesteckt hatte, setzte ich das beiliegende Headset auf. Ich öffnete YouTube und startete eine Playlist, die alle Mazurkas von Chopin enthielt. Zum fröhlichen Klaviergeklimper checkte ich meine Mails – es gab neue Workshops zu typischen deutschen Themen wie Diversity, Gendern und Datenschutzgrundverordnung – las mir noch einmal meine To-Dos durch, die mir Andreas fein säuberlich bei Microsoft Teams hinterlassen hatte und machte mich an die Arbeit.
Der Restalkohol in meinen Adern war in vielerlei Hinsicht ein Segen. Exceltabellen zu bearbeiten fühlt sich viel weniger wie die Verschwendung der eigenen Lebenszeit an, wenn man dabei nur halb bei Bewusstsein ist. Insbesondere das manuelle Kopieren von Daten von einer Datenbank in eine Exceldatei, wurde so viel erträglicher. Das hätte zwar ein Python-Script in einer halben Minute erledigt, aber laut den Paranoikern bei der IT Abteilung hätte so etwas zu viele Sicherheitslücken eröffnet. Also saß stattdessen ich zwei Stunden rum, ließ mich von der Musik tragen und bespielte immer wie die Tastatur mit der magischen, von Larry Tesler komponierten Folge von StrgC und StrgV, während meine Gedanken wieder abschweiften.
Irgendetwas stimmte mit mir nicht, das war mir klar mittlerweile klargeworden. Ich hasste mein Leben, ich hasste meinen Job und ich hasste mein BWL Studium, ich hasste meine nächtlichen Abenteuer, die jedes Mal mit unnötigen Kopfschmerzen, Reue oder Scham endeten. Aber was sollte ich sonst mit meinem Leben anfangen? Ich starrte aus dem Fenster, auf die unangenehm von der Sonne hell erleuchtete Altstadt, die alten gotischen Kirchenbauten und Einkaufsmeilen voller Touristen.
Ich fand keine Antwort, aber ich hatte sowieso genug zu tun und so versank ich in einem Delirium aus Trunkenheit, dem Rauschen des Koffeins und endlosen Seiten von Diagrammen und Statistiken, die es zu einer PowerPoint Präsention zu veredeln galt. Ich war gerade sogar in eine Art Flow geraten, getragen von Chopin, als eine Gestalt sich neben mir aufbaute und energisch meinen Namen rief und auf den Tisch klopfte.
„Cassian?“
Irritiert sah ich auf und erkannte Lena, eine Werkstudentin aus der Abteilung People Analytics, die Psychologie studierte. Sie hatte ihre roten Haare zu einem Zopf zusammengebunden und auf ihr herrlich sanftes, sommersprossiges Gesicht ein paternalistisches Lächeln aufgesetzt.
„Was gibt es?“, fragte ich, die Musik pausierend.
„Dir auch einen schönen guten Tag, Cassian. Du solltest keine Musik bei der Arbeit hören, so bekommst du gar nicht mit, wenn jemand dich ruft.“
„Das nennt man glaube ich DeepWork. Hatten wir dazu nicht erst einen Workshop letzte Woche?“
Sie verdrehte die Augen. „Du verwechselst wie so oft deep mit asozial. Aber genau deswegen bin ich hier. Wir Studis gehen gleich mal alle gemeinsam Mittagspause machen. Es sind ein paar neue Praktis dabei und es wäre doch großartig, wenn du mitkommst.“
„Networking ist nicht so meins“, sagte ich und klickte mich durch ein Diagramm, um den Blickkontakt mit Lenas sehr durchdringenden jadegrünen Augen zu vermeiden. „Danke für die freundliche Einladung, aber ich denke ich werde einfach wie meistens mir später schnell was alleine holen oder mit Andreas speisen.“
„Du weißt, dass das so nicht funktioniert“, sagte sie, die Arme vor der Brust verschränkend.
„Ich habe bisher keine einzige Deadline verpasst und meine Performance ist – Zitat Andreas – eines over the top Arbeitstiers“, erwiderte ich und klickte mich durch Google Analytics Datendiagramme.
„Das meinte ich nicht“, sagte sie genervt und beugte sich zu mir vor, sodass mir der Duft ihres schweren, jasminigen Mugler Alien Eau de Parfum in die Nase stieg. Ein herrliches Parfüm, aber viel zu dunkel für so ein hellhäutiges, lebensfrohes Mädchen. „Du kannst nicht einfach so alleine vor dich hinarbeiten. Wir sind ein Team, eine Company, eine Gemeinschaft. Du wirst keinen langfristigen Erfolg haben, wenn du nicht networkst, Freundschaften schließt, Menschen kennenlernst.“
„Ich habe mittlerweile die halbe Firma bei LinkedIn geadded“, entgegnet ich.
„Wie ist ein so arroganter Typ wie du eigentlich durchs Bewerbungsverfahren gekommen?“
„Ich glaube es liegt entweder an dem Notendurchschnitt von 1,0“, sagte ich, mich betont am Kopf kratzend. „Oder an meinen zwei Praktika bei den Big4 und dem einen im Auswärtigen Amt. Oder daran, dass ich tatsächlich auch ganz nett sein kann. Ich weiß es um ehrlich zu sein auch nicht.“ Ich streckte ihr mein bestes Pferdegrinsen entgegen, aber sie schüttelte nur den Kopf.
„Bist du betrunken? Es riecht nämlich so.“
„Restalkohol von einer langen Nacht.“
„Unter der Woche. Du bist unmöglich.“ Tatsächlich lachte sie und legte eine Hand auf meine Schulter. „Und du kommst jetzt mit. Als Psychologin verschreibe ich dir das.“
Ich klappte meinen Laptop seufzend zusammen und gab mich geschlagen. Dunkle Blüten öffnete und schlossen sich vor meinen Augen und ich brauchte sowieso eine Pause. Und noch einen Kaffee.

 


Weitere Informationen dazu, wann und wo dieser Roman erscheinen wird, werde ich in den kommenden Monaten sobald wie möglich auf diesem Blog und in meinem Newsletter bekanntgeben. Bis dahin empfehle ich die Lektüre von paar altgriechischen Klassikern und meinen eigenen bisherigen Veröffentlichungen zur Einstimmung: https://amzn.to/3em3DNk


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Nikodem

Nikodem Skrobisz, auch unter seinem Pseudonym Leveret Pale bekannt, wurde am 26.02.1999 in München geboren. Er ist als nebenbei als Schriftsteller tätig und hat bereits mehrere Romane und Kurzgeschichten publiziert, die meist philosophische und gesellschaftliche Themen behandeln. Er studierte Kommunikationswissenschaften, Psychologie, Philosophie sowie Sprachen und Literatur. Aktuell studiert er im Master Philosophie. Halbprivate Einblicke gibt es auf Instagram

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