19. April 2024
Essay

Gerechtigkeit und Gleichheit – was einen Staat gerecht macht

Die SPD fordert soziale Gerechtigkeit, die Opfer der Gruppenvergewaltiger von Essen fordern Gerechtigkeit vor Gericht, genauso wie jeder Mensch jeden Tag im Umgang mit seinen Mitmenschen Gerechtigkeit erwartet. Wir alle wünschen uns in einer gerechten Welt zu leben. Wir glauben auch intuitiv durch unsere soziokulturelle Prägung und unsere intrinsischen Intuitionen zu wissen, was Gerechtigkeit ist. Doch wenn wir uns miteinander unterhalten, merken wir schnell, dass es verschiedene Vorstellungen von Gerechtigkeit gibt, und dass diese Vorstellungen einen extrem starken Einfluss auf Politik und Privatleben ausüben. Vor allem politische Lager lassen sich oft durch ihre unterschiedlichen Gerechtigkeitsvorstellung definieren. Was ist jedoch Gerechtigkeit, und wie kann sie gewährleistet werden? Welche Art von Gerechtigkeit sollte vor allem herrschen und vom Staat durchgeführt werden, damit wir in einer freien Gesellschaft gut und gerecht leben können?

Gerechtigkeit ist ein abstraktes Prinzip, über dessen exakte Definition sich Philosophen seit Jahrtausenden streiten, doch stark vereinfacht, kann man Gerechtigkeit darauf reduzieren, dass ihr Ziel es ist Gleichheit herzustellen. Wesentlich bedeutet Gerechtigkeit: Wesentlich Gleiches muss gleich und wesentlich Ungleiches ungleich behandelt werden.

Gerechtigkeit beruht auf Gleichheit beziehungsweise der Herstellung von Gleichheit, und führt dadurch auf einer rein pragmatischen Ebene dazu, dass die Gesellschaft stabilisiert wird, da sie ermöglicht den Bürgern in Würde zu leben und Konflikte zwischen Ihnen zu regeln bzw. das Prinzip der Reziprozität, welches das Zusammenleben reguliert und Altruismus ermöglicht, auch in einer hochkomplexen und ausdifferenzierten Gesellschaft durchzusetzen.

Es gibt allerdings drei Arten von Gleichheit, und je nachdem, welche man wie gewichtigt, ändert sich die Vorstellung davon, wie Gerechtigkeit aussehen sollte. Wenn man allerdings das Zusammenspiel dieser drei Prinzipien betrachtet, entdeckt man, dass es Konstellationen gibt aus denen sich mehr Gerechtigkeit ergibt, als aus anderen, und es entsprechend Formen von Gerechtigkeit gibt, die erstrebenswerter sind als andere.

Die Gleichheit vor Gott ist die Gleichheit vor einem metaphysischen Prinzip, das alle Menschen gleich richtet. Diese Gerechtigkeit bezeichnen wir heute vor allem als Gleichheit vor dem Recht. Ihre säkulare Manifestation findet sich in der Idee der Menschenrechte und der Gesetzbücher. Auch wenn im Westen des 21. Jahrhunderts dieses Gleichstellung vor dem Recht etwas ist, das auch Atheisten (wie ich) als gerecht wahrnehmen, hat diese Gleichheit im Westen ihre Wurzeln nicht nur, aber vor allem im judeochristlichen Denken. Die monotheistischen Religionen formulierten nämlich die Vorstellung, dass unabhängig von der Lebensführung und der Herkunft, jeder Mensch nach dem Ebenbild Gottes geschaffen ist und damit nicht nur allein durch sein Menschsein mit bestimmten Rechten ausgestattet ist, sondern sich auch genauso wie alle seine Mitmenschen vor diesem Gott verantworten muss. Dadurch hat nicht nur jedes Individuum Rechte, die nicht von anderen verletzt werden dürfen, es ist auch Aufgabe des Staates diese Rechte zu schützen und die Verletzung dieser auszugleichen. Gerechtigkeit, die auf dem Prinzip der Gleichheit vor dem Recht beruht, versucht die verursachten Schäden an den Grundrechten eines Individuums durch ein anderes Individuum wiederherzustellen. Das heißt, wenn ein Individuum von einem anderen in seinen Rechten verletzt wird, so muss der Staat (da Gott entgegen der religiösen Vorstellung offensichtlich nicht interveniert) dafür sorgen, dass das andere Individuum den verursachten Schaden kompensiert, unabhängig von dessen Status. (Auge um Auge, Zahn um Zahn) Davon ausgehend ist Gerechtigkeit allerdings nur dazu da, Missverhältnisse zwischen Individuuen auszugleichen, und es ist weder gerecht noch zielführend, sogenannte opferlose Verbrechen, wie Drogenkonsum zu bestrafen, da hier keine Rechtsverletzung anderer begangen wurde.

Zwar ist diese Idee der Gleichheit historisch in der Religion verwurzelt, doch nur so konnte sich in den primitiven Gesellschaften die rationale Erkenntnis etablieren, dass die Gesellschaft nicht aus Kollektiven, sondern aus Individuen besteht, und diese nur durch gleiche rechtliche Behandlung langfristig kooperieren und stabile Staaten formen können. Der Bezug zur Religion findet sich auch noch in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung: „Folgende Wahrheiten erachten wir als selbstverständlich: daß alle Menschen gleich geschaffen sind; daß sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten ausgestattet sind.“

Im Zuge der Aufklärung und der Säkularisierung wurde die religiöse Begründung durch die Vorstellung des Naturrechts ersetzt, doch die metaphysische Natur dieser Art der Gleichheit bleibt damit bestehen, denn materialistisch und psychologisch betrachtet sind Menschen nicht alle gleich, da jeder Einzelne durch Genetik, Herkunft und Lebenslauf andere Fähigkeiten und Eigenschaften besitzt. Das metaphysische Gleichheitsprinzip, das alle Menschen vor dem Recht gleichstellt sind, ist jedoch für den Erhalt der Zivilisation und das Zusammenleben großer Menschengruppen, wie es eben Staaten sind, unabdingbar. Zwar mag es nur ein metaphysisches Prinzip sein, allerdings ermöglicht es Individuen friedlich zusammenzuleben und der Gesellschaft sich weiterzuentwickeln. Es hat damit einen pragmatischen und rationalen Wert. Das Fehlen dieses Prinzips führt zur Willkür, Machtmissbrauch, Unterdrückung und damit letztendlich zu Chaos und Barbarei. Diese Art der Gleichheit ist damit die Basis der Zivilisation und der Freiheit des Individuums, und aller Formen von funktionierender Gerechtigkeit, da die beiden anderen Prinzipien der Gleichheit ohne sie nicht existieren können. Staaten, die auf der Basis von kollektivistischen Ideologien und totalitären Systemen die individuellen Menschenrechte ablehnen, so wie es im Nationalsozialismus oder in den vom Islam geprägten Ländern der Fall war und noch leider oft ist, versinken dadurch zwangsläufig in Gewalt und Ungerechtigkeit, da sie keine Gleichheit vor dem Recht unter den Individuen mehr herstellen können.

Aus der Gleichheit vor Gott leitet sich auch die Aufgabe des Staats ab: Er soll den Bürgern dienen, indem er sie durch ein Justizsystem voreinander schützt und ihnen die Basis für ein friedliches Zusammenlebens schafft. Das Erheben von Steuern greift zwar in die persönlichen Rechte des Bürgers ein, allerdings kann es als gerecht gerechtfertigt werden, wenn der Bürger die Möglichkeit hat den Staat zu verlassen, und wenn das Erheben von Steuern sich auf das Minimum beschränkt, was benötigt wird, um Maßnahmen umszusetzen, von den alle Bürger gleich profitieren. Es ist jedoch nie gerecht Steuern zu erheben, von deren Verwendung das besteuerte Individuum nicht profitiert.

Die Chancengleichheit schafft die Möglichkeit, nach der jeder Mensch unabhängig von seiner Herkunft, seiner sozialen Stellung, seines Aussehens und seiner Genetik die gleichen Chancen auf einen Erfolg entsprechend seiner Fähigkeiten hat. Konkret bedeutet das, dass sowohl der Sohn eines reichen CEOs als auch der eines armen Handwerkers oder ein Waisenkind, die Möglichkeiten bekommen sollten, die gleichen Chancen im Leben zu bekommen ihr Potential zu entfalten. Dabei sollte auch beachtet werden, dass die kleinste Minderheit im Staat immer das Individuum ist, sodass die Politik sich danach ausrichten sollte jedem Individuum Chancengleichheit zu ermöglichen – dafür ist eine Zusammenfassung der Bürger und die Reduzierung dieser auf konstruierte kollektive Identitäten beziehungsweise Minderheiten kontraproduktiv, da sie eben das Individuum aus den Augen verliert, und damit die Gleichheit aller Individuen vor Gott beziehungsweise dem Recht. Es sollte also keine Förderung beziehungsweise Chancenschaffung für Minderheiten etabliert werden, wie es oft in der heutigen Politik getan wird, weil es pragmatischer und günstiger ist, sondern eine Förderung jedes einzelnen Individuums, unabhängig von der konstruierten Identität. In der Politik bedeutet das, dass jeder einzelne das Recht hat, eine Schule zu besuchen, eine Ausbildung zu machen und zu studieren, unabhängig von Herkunft, Ethnie und finanzieller Lage der Eltern. Dadurch bekommt jedes Individuum die Chance sein Potential entsprechend seiner Fähigkeiten zu entfalten. Von dieser Fokussierung aufs Individuum profitiert die Gesellschaft langfristig, da durch die gleichen Startbedingungen letztendlich diejenigen Menschen eine bestimmte Position einnehmen, für die sie am besten geeigneten sind. Wenn in einer Gesellschaft zum Beispiel alle Menschen unabhängig von ihrem sozioökonomischen Hintergrund die Möglichkeit haben eine Schule zu besuchen und danach zu studieren, um zum Beispiel Arzt zu werden, so werden diejenigen das Medizinstudium aufnehmen und dann auch bestehen und letztendlich Arzt werden, die sich nicht nur am meisten dafür interessieren, also die notwendige Begeisterung mitbringen, sondern auch gleichzeitig am kompetentesten dafür sind, weil sie sich gegen die anderen Bewerber durchsetzen müssen. Dadurch wird gesorgt, das kompetente Ärzte ausgebildet werden, die ihren Mitmenschen auch wirklich helfen können. Es werden  auch keine für den Arztberuf besonders begabten Menschen dadurch verschwendet, dass sie aufgrund ihrer Herkunft nicht die Möglichkeit zur Bildung haben.  Die Chancengleichheit sorgt also dafür, dass hochintelligente Menschen Wissenschaftler werden können und nicht als Straßenfeger arbeiten müsse. Und entsprechend führt das auch dazu, dass Menschen, bei denen es besser wäre, wenn sie weder Arzt noch Wissenschaftler wären, weil es ihnen an Intelligenz oder Gewissenhaftigkeit mangelt, von ihren Chancen aus entsprechende Beruf einnehmen, auch wenn es dann ein weniger ertragreicher ist, wie der des Straßenfegers. 

Für die Gesellschaft und ihren Fortschritt, sowie für die Entfaltung und die Freiheit eines jeden einzelnen Individuums ist die Chancengleichheit eine essentielle Gleichheit. Daher sollte es Aufgabe des Staats sein, Chancengleichheit herzustellen, indem er jeden Menschen Zugang zur Bildung ermöglicht. Auch wenn dafür Steuern erhoben werden müssen, sind diese noch zu gerechtfertigten, da jeder einzelne Bürger davon profitiert, wenn er von gebildeten und kompetenten Menschen umgeben ist, die Leben nach ihren Möglichkeiten leben, und nicht frustriert sind, weil sie ihr Potential nicht entfalten konnten, oder aufgrund von mangelnder Bildung in Kriminalität verfallen oder schlicht dumme Dinge tun, die Schaden anrichten. Darüber hinaus gehört auch der Ausbau der Infrastruktur eines Landes zur Schaffung des Staates, da nur eine ausgebaute Infrastruktur es den Menschen ermöglicht sich frei zu bewegen und Chancen zu nutzen.

Wenn allerdings ein Mensch trotz Chancengleichheit diese Chancen nicht nutzt, so ist dies seine individuelle Verantwortung und er muss mit den Konsequenzen gerechterweiser leben. Es widerspricht der Gleichheit vor dem Recht dann anderen Menschen, die ihre Chancen genutzt haben, in ihren Eigentumsrechten zu verletzten bzw. zu besteuern, damit sie dann die Konsequenzen seines verantwortungslosen Handelns tragen müssen, wie es bei der klassischen Umverteilung des modernen Sozialstaats der Fall ist. Der Staat sollte den Bürgern die Chancen geben ihre Zukunft zu gestalten, aber er kann sie auch nicht bemüttern, wenn sie ihren Bildungsweg abgeschlossen haben, schließlich kann auch nur ein Mensch wirklich erwachsen werden, der lernt auf eigenen Beinen zu stehen und sich selbst zu ernähren und dafür zu arbeiten und die Verantwortung auf sich selbst aufzunehmen.

Was ist aber mit Menschen, die trotz Chancengleichheit nun mal es nicht schaffen, sich sinnvoll in die Gesellschaft zu integrieren? Damit beschäftigt sich das dritte der Gerechtigkeit zugrundeliegende Gleichheitsprinzip.

Die Gleichheit des Ergebnisses ist je nach Definition entweder a) die Gleichheit, nach der jeder universell für die gleiche Leistung das Gleiche bekommt (und oft als soziale Gerechtigkeit beschrieben wird) oder nach b) die Gleichheit, bei der jeder das Gleiche bekommt, allerdings nicht universell, sondern spezifisch jeder für eine konkret erbrachten Ergebnisse einer Leistung entsprechend konkret das Gleiche bekommt. Die Gleichheit nach b) lässt sich also mit dem Prinzip Jedem das Seine beschreiben, was allerdings dann natürlich keine universelle Gleichheit ist, und daher meistens nicht als Gleichheit betrachtet wird, sondern als eine logische Schlussfolgerung aus der Chancengleichheit. Zu ihren Enden gebracht, sind die nämlich Ergebnis-Gleichheiten a) und b) diametral, die eine ist die a) „Jedem das Gleiche“ und b) „Jedem das Seine“, wobei die Schaffung der Chancengleichheit wie im vorherigen Abschnitt gezeigt, theoretisch dazu führt, dass jeder das Seine beziehungsweise die entsprechende Position in der Gesellschaft bekommt. Deswegen wird in den meisten Debatten die Form b) nicht als die Gleichheit des Ergebnisses betrachtet, sondern der Chancengleichheit untergeordnet. Im Folgenden wir daher vor allem auf Form a) eingegangen.
Die universelle Gleichheit des Ergebnisses nach a) mag zwar auf den ersten Blick und in kleinen Rahmen, wie zum Beispiel der Verteilung von Geschenken beim Weihnachtsfest oder von Lebensmitteln innerhalb der Familie, sinnvoll erscheinen, ist es jedoch in fast allen anderen Lebensbereichen nicht.

Wenn zum Beispiel die fiktive Personen Justus und Dike beide jeweils einen Stuhl bauen, und Justus ein total unbegabter Handwerker ist und Dike hingegen sehr geschickt vorgeht, so wird Justus im schlimmsten Fall einen Stuhl bauen, der zusammenbricht, sobald jemand sich draufsetzt, und Dike einen perfekten Stuhl, der mitunter Jahrzehnte hält. Wenn nun die beiden ihren Stuhl verkaufen wollen würden, dann würde niemand einen Stuhl haben wollen, der sofort auseinanderfällt. Beide hatten ihre Chance einen Stuhl zu bauen, Dike wird für ihren Geld verdienen, Justus einen Verlust einstecken und gezwungen werden, einen anderen Beruf zum Gelderwerb zu suchen. Wenn man jedoch nach a) handelt, so sollten nun sowohl Justus als auch Dike für die erbrachte Leistung einen Stuhl gebaut zu haben die gleiche Summe an Geld erhalten. Dies ist jedoch nicht ohne Gewalt möglich, denn niemand will den Stuhl von Justus haben. Damit trotzdem die Gleichheit des Ergebnisses gewahrt wird, kann ein Staat intervenieren und Dike die Hälfte ihrer Einnahmen durch den Stuhl an Justus geben. Dadurch werden beide ungleich vor dem Recht behandelt, also die Gleichheit vor Gott beziehungsweise vor dem Recht aufgehoben, genauso wie die Chancengleichheit und ihr Zweck ausgehebelt werden. Die Gleichheit der Ergebnisse kommt also mit dem Preis der Gleichheit vor dem Recht und der Chancengleichheit. Darüber hinaus, ist es nicht nur paradox Dike dafür zu bestrafen, dass sie eine bessere Leistung erbracht hat, als Justus – es verhindert auch eine Selektion. Dadurch, dass Justus trotz seiner Unfähigkeit weiter Stühle bauen und davon leben kann, wird er nicht gezwungen einen neuen Beruf zu suchen, der seinen Fähigkeiten besser entspricht, und in dem er nicht nur sich selbst mehr erfüllen, sondern auch für die Gesellschaft von größeren Nutzen wäre. Dike hingegen wird dadurch, dass sie für ihre Leistungen bestraft wird, demotiviert diese weiterhin in dieser guten Qualität zu erbringen, und sie wird dadurch in der Entfaltung ihres Potentials gehemmt. Dies ist langfristig kontraproduktiv für die Entwicklung beider und dann auch für die Gesellschaft, da ohne Selektionsprozess keine auf Individuen basierende Wirtschaft und Politik langfristig erfolgreich sein kann.

Es lässt sich also festhalten, dass Ergebnis-Gleichheit in der Regel ungerecht ist, da sie diejenigen, die sich das Ergebnis verdient haben, bestraft, und diejenigen, die es nicht verdient haben, entlohnt, weshalb diese Gleichheit auch als Neid-Gleichheit bezeichnet wird. Abstrakter wird die Forderung nach dieser Gleichheit benutzt, um für soziale Gerechtigkeit zu plädieren und damit Programme umzusetzen, die man als Sozialstaat zusammenfassen kann, und die das Ziel haben die Ärmsten zu unterstützen.
Es wäre aber auch ungerecht, die Gleichheit vor dem Recht zu brechen und damit ungerecht zu handeln, um Menschen zu enteignen und damit zu bestrafen, die mit ihren Leistungen für die Gesellschaft nützlich sind und so aus der Symbiose profitieren, nur um dann diejenigen Menschen dafür zu belohnen, dass sie das nicht tun. Es wäre nicht gerecht, wenn Dike hart arbeitet und Stühle verkauft, und dann einen Teil ihres Einkommens an Justus abgibt, der mittlerweile nicht einmal mehr Stühle herstellt, sondern nur noch faul herum liegt, und dafür auch noch belohnt wird. Eine asymmetrische Umverteilung von Reich nach Arm wie sie in Sozialistischen Staaten stattfindet, ist damit nicht gerecht, da sie gegen die ersten beiden Gleichheitsprinzipien von Gott und Chance verstößt.

Wollte man alle Menschen gerecht behandeln, so müsste man auch alle Menschen gleich besteuern und gleich unterstützten, das heißt, jeder bekommt Bafög und jeder bekommt eine Form einer Grundaufstockung, aber eine asymmetrische Verteilung von Leistenden auf Nicht-leistende ist nicht gerecht. Also, es wäre mit den beiden anderen Gleichheitsprinzipien vereinbar und damit gerecht, wenn sowohl Justus und Dike, unabhängig von ihrem Einkommen, im gleichen Umfang Nahrungsmittel, Wohnraum, den gleichen Steuersatz und den gleichen Zugang zur Bildung bekommen, aber nicht, wenn Justus Nahrung und Wohnraum auf Kosten von Dike bekommt, während Dike ihre Nahrung und ihren Wohnraum selber bezahlen muss. Da allerdings diese Nahrung und der Wohnraum usw. irgendwo herkommen müssen, das heißt, irgendwo jemand dafür arbeiten muss, kann es keinen gerechten Weg geben, wie jemand, der keine Produktivität in die Gesellschaft einbringt, wie Justus, dann diese von der Gesellschaft bekommt. (Außer wir schaffen eines Tages ein perpetuum mobile, oder zumindest eine Armee aus sich selbst reparierenden Robotern, die unsere Grundversorgung sicherstellen, sodass der Staat kostenlos Unmengen an Ressourcen selber produzieren und verteilen kann.)

Man kann zwar argumentieren, ähnlich wie bei der Bildung, dass eine Gesellschaft für alle besser ist, in der kein Justus in die Kriminalität gezwungen wird, da er sich kein Wohnraum und kein Essen leisten kann, allerdings wäre es wie aufgeführt nicht gerecht einen Sozialstaat dafür zu etablieren. Die staatlichen Sozialleistung neigen überdies dazu, den Mensch unmündig zu machen, da sie ihn in seiner Konformität bestärken und die sozialen Netze überflüssig machen und dadurch auflösen. Für diejenigen, die durchs soziale Netz fallen waren in den religiösen Gesellschaften die Almosen konzipiert, sodass die, die keinen Platz in der Gesellschaft haben, durch die freiwilligen Spenden der Gläubigen trotzdem überleben können. Dieses System, bei dem diejenigen, denen es gut geht, freiwillig ein Teil ihres Wohlstands abgeben, ist das einzige gerechte Sozialsystem, da es auf Freiwiligkeit basiert und daher dafür kein Staat die Gleichheit vor dem Recht brechen muss.

Fraglich ist allerdings, wie effizient die Verteilung privater Spenden, vor allem in einer zunehmen säkularisierten und damit nicht an religiöse Moral gebundenen Welt, möglich ist. Die beste Lösung dafür wäre, wenn in den Schulen nicht nur Sprachen, Mathematik und Wissen gelehrt werden, sondern die Schüler auch in Empathie, formal logischem Denken, Gerechtigkeitssinn und Tugenden geschult werden, also zu mündigen und sozialen Bürgern geformt werden. Leider existieren entsprechende Fächer und Programme zur Förderung von Philantrophie bisher aufgrund von mangelnder Chancengleichheit und schlechter Bildungspolitik in Deutschland vor allem nur an Privatschulen und elitären Internaten,  die es nicht geben würde, wenn der Staat seinen Bildungsauftrag gewissenhaft erfüllen würde. Da der Staat sich letztendlich aber aus Individuen zusammensetzt, muss nicht nur der Staat gerecht sein, sondern auch die Bürger, die diesen Staat bilden, müssen gerecht, gebildet und empathisch sein, da nur so ein soziales und friedliches Zusammenleben möglich wird. Dies ermöglicht auch die Schaffung von sozialen Netzen, die sich um Probleme kümmern, die außerhalb des Aufgabenbereichs des Staats liegen.

Dies ist soweit die Theorie. Da in der Realität, vor allem in der durch Medienkonsum und Nihilismus vereinsamten postmodernen Gesellschaft des Westens, aber soziale Strukturen nicht ausreichen, um alle Menschen aufzufangen, kann es gerecht sein den Staat einzubeziehen. Man kann dafür die Chancengleichheit argumentativ so weit führen, dass man sagt, dass ein Mensch immer alle Chancen haben sollte, zurück in die Gesellschaft zu finden und an ihr teil zu nehmen. Damit kann man Systeme, die allgemein als Sozialstaat bezeichnet werden, als gerecht legitimieren. Allerdings müssen dann diese Systeme so geschaffen sein, dass sie nicht nur am Leben hält und die Betroffenen bestrafen, wenn sie versuchen sich wieder hochzuarbeiten (wie im Hartz IV System der Fall ist) sondern Anreize und Möglichkeiten geschaffen werden, wieder zu arbeiten (wie zum Beispiel im Konzept des liberalen Bürgergelds, für das sich die FDP in Deutschland einsetzt).

Zusammenfassend kann man schlussfolgern, dass eine freie und zivilisierte Gesellschaft, in der jedes Individuum seinen Platz finden und in Freiheit leben kann und in der die meiste Gerechtigkeit herrscht, theoretisch die ist, deren Staat nach dem Gerechtigkeitsprinzip handelt, das auf den Gleichheitsvorstellungen von der Gleichheit vor dem Recht und der Chancengleichheit beruht, und ansonsten nicht in das Leben der Bürger interveniert. Ein Staat, der eine Gleichheit der Ergebnisse anstrebt, wie es der Sozialismus beziehungsweise der Kommunismus vorsehen, hebelt nicht nur zwangsläufig die ersten beiden Gleichheitsprinzipien aus und wird ungerechter, er zerstört damit auch die Freiheit der Individuen und die Wirtschaftskraft der aus ihnen geformten Gesellschaft. Damit ein Staat durchgehend gerecht sein kann, braucht er nicht nur eine republikanische Struktur, die starke Institutionen ermöglicht, die die Gleichheit vor dem Recht durchsetzen können – er braucht auch eine durchlässige Kompetenz-Hierarchie, in der jeder die Chance hat aufzusteigen und seinen Fähigkeiten entsprechend mitzuwirken, sowie eine engagierte und solidarische Bevölkerung, die freiwillig untereinander kooperiert. Für einen guten Staat braucht es also nicht nur die metaphysische und organisatorische Basis eines gerechten Rechts- und Bildungssystems, sondern auch die Basis aus sozialen und mündigen Individuen, wobei beides einander bedingt. Weder kann ein Staat gerecht sein, wenn die Individuen, aus denen er sich zusammensetzt, unmündig sind, noch können sich nur wenige mündigen Individuen entwickeln, wenn der Staat ungerecht ist.
Solch eine gerechte und gute Gesellschaft wäre in der Idealform eine liberale Republik, die ähnlich wie Platons Staat, mit festen Strukturen für Recht und Ordnung und damit Freiheit sorgt, von gerechten und kompetenten Menschen gelenkt wird, die sich für die Leitung qualifiziert haben und durch Sicherungssysteme und eine Teilung der Gewalten davon abgehalten werden, ihre Macht zu missbrauchen. Optimalerweise würde ein System seine Herrscher aufgrund ihres Gerechtigkeitssinns und ihrer Begabungen selbst aussuchen, da allerdings der Staat etwas ist, was durch Menschen geschaffen wird und aus ihnen besteht und eine unkorrumpierbare, von außen eingerichtete Instanz zur Herrscherwahl nicht gegeben ist,  scheint der beste Kompromiss ein semi-demokratisches System beziehungsweise eine liberale, republikanische beschränkte Demokratie, in der der Staat nur so viel Macht wie notwendig hat und alle Bürger vor Gericht gleich behandelt und ihnen die Möglichkeiten zur Selbstentfaltung bietet. Wichtig ist hierbei zu betonen, dass eine konstitutionelle Republik einer richtigen Demokratie zu bevorzugen wäre, da richtige Demokratie Populismus und eine Tyrannei der (in der Realität meist irrational agierenden) Massen ermöglicht, die die Gerechtigkeit der Institutionen untergraben würde. Die Stimmen der einzelnen Individuen sollten daher bei der politischen Entscheidungsfindung nicht gezählt, sondern gewichtet und die Macht der Herrschenden beschränkt werden. Darüber hinaus haben allerdings die Bürger und damit jedes Individuum die Verantwortung auch selbständig und gemeinschaftlich zu handeln, und das unabhängig vom Staat. Der Staat kann nämlich nur gerecht bleiben, solange er die Gleichheit vor dem Recht nicht verletzt, und das kann er nur, solange er nur minimal in die Leben der Menschen eingreift, vor allem, um Justiz und Bildung zu sichern, aber den Rest müssen die Menschen unabhängig vom Staat und freiwilig selbst organisieren.

So wäre das Idealbild. Da unsere Gesellschaft im steten Wandel und unendlich kompliziert ist, wird es wahrscheinlich niemals einen wirklich gerechten Staat geben, da auch die akute Tagespolitik die Herrschenden dazu zwingt aus Pragmatismus Ungerechtigkeiten zu begehen und Korruption und Machtgier das System korrumpieren. Die alltägliche Welt ist darüber hinaus unendlich komplex und im steten Wandel, und kann daher, wie hier, nur in abstrakten Reduktionen begrifflich gemacht werden, sodass eine perfekte Beschreibung und damit perfekte Antwort auf die Probleme der Welt nicht immer möglich ist. Dies wird vor allem deutlich, wenn man die zahllosen juristischen Einzelfälle zu betrachtet, die jeden Tag auftreten, und die sich oft nicht einfach durch die Orientierung an den hier dargelegten Axiomen lösen können.

Die Technologien, die das Leben und damit die Gesellschaft formen, verändern sich ebenfalls konstant, sodass kaum eine zeitlose Antwort gefunden werden kann. Aber Perfektion ist stets ein Ideal, das es sich anzustreben lohnt, auch wenn man es nie erreichen wird, so ähnlich wie man beim Boxen nie auf das Gesicht des Gegners zielt, sondern hinter sein Gesicht, um den Schlag mit mehr Wucht und auch dann zu landen, wenn er zurückweicht. Daher ist es immer lohnenswert die grundlegenden Prinzipien und Ideale wie Gerechtigkeit zu betrachten und dann das Leben und den Staat nach ihnen auszurichten. Wahrscheinlich werden diese Ideale niemals vollständig realisiert werden können, aber der Versuch diese zu Realisieren und die Annäherung an das Ideal, machen das Leben besser und damit bereits idealer.


Und wie immer handelt es sich bei diesem Essay um meine subjektive Meinung zu der Thematik. Wie man wahrscheinlich merkt, argumentiere ich aus einer stark liberalen Position heraus, aber ich bin immer offen für neue Ideen, weshalb ich mich immer über Gegenmeinungen in den Kommentaren freue. 😉


Quelle des Beitragsbild: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Declaration_of_Independence_(1819),_by_John_Trumbull.jpg#/media/File:Declaration_of_Independence_(1819),_by_John_Trumbull.jpg

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Nikodem

Nikodem Skrobisz, auch unter seinem Pseudonym Leveret Pale bekannt, wurde am 26.02.1999 in München geboren. Er ist als nebenbei als Schriftsteller tätig und hat bereits mehrere Romane und Kurzgeschichten publiziert, die meist philosophische und gesellschaftliche Themen behandeln. Er studierte Kommunikationswissenschaften, Psychologie, Philosophie sowie Sprachen und Literatur. Aktuell studiert er im Master Philosophie. Halbprivate Einblicke gibt es auf Instagram

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